Du siehst, mein Freund, zum Raum wird hier die Zeit Martin Glasen und René Block Zur Auswahl von Künstlern und Werken für die Ausstellung Chronos & Kairos. Die Zeit in der zeitgenössischen Kunst unterhielten sich auf der dänischen Insel Møn Martin Glaser und René Block. Martin Glaser: Ein Jahr, ein Jahrzehnt, ein Jahrhundert und ein Jahrtausend nähern sich ihrem Ende, ein idealer Zeitpunkt, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachzudenken und Zeit zu thematisieren. René Block: Als unabhängiger Ausstellungskurator trägt man viele Ideen zu Projekten mit sich herum und muß auf den Moment warten, da man sie realisieren kann. Das war so beim Thema ÑMusik und bildende Kunstì, das sich durch glückliche Fügung 1980 mit den Berliner Festspielen und der Abteilung Musik der Akademie der Künste umfassend ausführen ließ. Für Augen und Ohren hieß damals die Ausstellung. Fast ebenso lange beschäftigen mich aber auch die Themen ÑZeitì und ÑSpracheì. Die Beziehung zwischen Sprache und Bild, Wort und Form in der zeitgenössischen Kunst soll im nächsten Jahr in der Ausstellung Am Anfang war das Wort (1.10. - 3.12.2000 im Museum Fridericianum Kassel) behandelt werden. Die ÑZeitì bildet auch zeitlich den mittleren Akt dieser Ausstellungstetralogie. Es hat also beinahe 20 Jahre gedauert bis sich durch meine Berufung ans Fridericianum die Gelegenheit bietet, diese Pläne zu verwirklichen. Auch hier spielt Zeit, Geduld, eine große Rolle. Auch Ideen müssen reifen. MG: Eine Ausstellungstetralogie nennen Sie die drei Projekte, gibt es Berührungspunkte, Leitmotive? RB: Es gibt Künstler, die zentrale Rollen spielen, wie Duchamp, Cage und Beuys, die in allen drei Ausstellungen auftreten. Aber auch Hanne Darboven ist hier zu nennen. Gerade Hanne Darboven beschäftigt sich seit Jahren mit dem Phänomen ÑZeitì sowohl auf einer verbalen als auch musikalischen Ebene. Schreibzeit, die sie in der ihr eigenen Systematik in Musik umsetzt. MG: Musik ist demnach ein Leitmotiv in Chronos & Kairos? RB: Nicht von ungefähr wird dem Katalog zur Ausstellung als Vorspiel eine kleine Oper von George Brecht vorangestellt. Sie besteht aus einer einfachen Handlungsanweisung für ihre drei Akte. Die Ausstellung selbst beginnt mit einer kleinen Hommage an Erik Satie. Wir werden seine VEXATIONS und die Musique díAmeublement aufführen. Bei Satie beginnt etwas, das wir als Ñkonzeptuelle Musikì bezeichnen können und auch die Anfänge der Ñvisuellen Musikì liegen hier, wie seine berühmte Komposition Form einer Birne oder die Notenschrift in Form von Wellen in der Komposition Bain de Mer von 1914 zeigen. 1921 konzipierte Satie die wahrscheinlich längste Komposition der Klavierliteratur Vexations, die bei mittlerem Tempo der Vortragsweise eine Länge von 18 bis 19 Stunden ergibt. Vorgetragen wird in der Regel von mehreren Pianisten, die sich, wie beim Staffellauf, am Klavier abwechseln, sozusagen den Ton übergeben. Dabei ist es ein relativ kurzes Stückchen Klaviermusik, das Satie notierte. Nur versah er es mit der Anweisung, es 840 mal zu wiederholen. Wie bei Vexations so wird auch bei der 1917 konzipierten und 1920 realisierten Komposition Musique díAmeublement die zeitliche Länge der Musik ein entscheidender Faktor, die Musik soll wie Möbel im Raum vorhanden sein, permanent und selbstverständlich. Aber auch der Raum selbst wird in dieser Komposition einbezogen. Raum und Zeit, Klang und Umgebung werden als zentrale Problemstellungen für die weitere Musikpraxis entdeckt und gerade von John Cage weiterentwickelt. Es war auch Cage, der 1979 die erste Realisierung der Möbelmusik als akustische Installation vorschlug. Mußte zu Saties Lebzeiten das Stück durch drei kleine Musikgruppen live für ein bestimmtes Ereignis aufgeführt werden, so kann die Musik heute dank moderner Technik mit Endloskassetten permanent während einer mehrwöchigen Ausstellungszeit aufgeführt werden. So wie Musik in Supermärkten oder in Flughäfen. 1920 bei der Erstaufführung durch drei Musikgruppen soll Satie, da sich die Zuhörer still verhielten, zornig ausgerufen haben: ÑHört nicht zu! Geht herum! Unterhaltet Euch!ì Wir haben für diese Ausstellung den Raum aus der Augen und Ohren-Ausstellung rekonstruiert. Übrigens wird dieser Raum die Ñhistorischeì Zelle der Ausstellung, weil in ihm auch das Indestructible Object von Man Ray und ein Rotorelief von Marcel Duchamp gezeigt werden. Zwei frühe kinetische Objekte, in denen bildende Künstler das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit thematisieren. MG: Cage hat durch die Beschäftigung mit Satie den Musikbegriff neu definiert. RB: Cage äußerte einmal, daß bei Beethoven die Teile
einer Komposition durch die Harmonik bestimmt würden, bei Webern und
Satie hingegen durch die Zeitlängen. Bei Beethoven ist Dauer, Tonhöhe,
Lautstärke und Farbe von gleicher Bedeutung. Gegenpart des Tons und
von gleicher Bedeutung aber ist Stille. Stille wird ausschließlich
durch Zeit wahrgenommen. Ich habe das jetzt vereinfacht, der genaue Text
wird im Ausstellungskatalog abgedruckt.
MG: Das Konzept, sich auf Lebensjahre zu beziehen, wie dies Cage bei Mozart Mix praktizierte, verfolgten einige Jahre zuvor schon Beuys und Paik bei ihrem Gedenkkonzert für George Maciunas in der Düsseldorfer Akademie. Hier bestimmte die Umkehrung der Ziffern von 47 Lebensjahren die Länge der Aufführung auf 74 Minuten. Ein Wecker wurde auf diese Zeit eingestellt. Sein Klingeln beendete das Konzert. Welche Bedeutung hat reale Zeit für bildende Künstler? RB: Wir betreten jetzt ein heikles Feld, weil wir viele ganz unterschiedliche Ansätze und Absichten nicht vermischen dürfen. Da ist einmal das Prozeßhafte, wobei wir aber auch gleich wieder viele Formen von Prozessen haben, auf die wir sicher noch eingehen. Ich möchte jetzt aber erst einmal den Prozeß des Entstehens eines Werkes herausgreifen, wie er beim Actionpainting in den 50er Jahren große Bedeutung hatte. Nun kann man ja sagen, daß jede Bildproduktion ihre Zeit benötigt, aber dies geschieht in der Regel in aller Ruhe an einer Atelierwand, und irgendwann ist das Bild fertig. Beim Actionpainting aber war der Malakt selbst das Ereignis. Das Ergebnis war durchaus zufällig, vorher nicht bestimmt. Pollock beispielsweise legte seine Leinwände auf dem Boden aus und schritt in sie hinein wie in einen Raum. Bild-Raum und Mal-Zeit waren bestimmende Faktoren für das Ergebnis. In Europa trat der französische Maler Mathieu öffentlich malend auf und Yves Klein produzierte Bilder durch Körperabdrücke vor Publikum. Bildende Künstler, die bisher in drei Dimensionen arbeiten mußten, entdeckten Zeit als vierte Dimension. Für Beuys beispielsweise war Zeit eine plastische, räumliche Dimension. In seinem 8-stündigen Fluxusgesang Der Chef, den er 1964 in Berlin aufführte, hatte die Zeitfestlegung eine plastische Funktion: Raum, Zeit, Klang. Das Erleben von Zeit, als Aufführender oder als Publikum wird ein zentrales Thema der Aktionskunst und des Happenings und wie bei der Musik so auch in Künstlerfilmen oder später in Videoarbeiten. MG: Wie wird dies in der Ausstellung vermittelt? RB: Dies kann nur anhand weniger ausgewählter Beispiele geschehen.
Aber einer der zentralen Räume der Ausstellung wird aus gleichzeitigen
Projektionen von Warhol, Paik, James Riddle und Beuys bestehen. Von Andy
Warhol zeigen wir Empire, diesen 8 Stunden und 5 Minuten langen Film aus
dem Jahre 1964, in dem der Künstler das Empire State Building mit
feststehender Kamera abfilmte. Veränderungen finden nur am Himmel
oder durch veränderten Lichteinfall auf das Gebäude statt. Auf
der gegenüberliegenden Wand wird Nam June Paiks Zen for Film ablaufen.
In einer Endlosschleife läuft ein unbelichteter Filmstreifen durch
den Projektor, wird im Laufe der Zeit Staubpartikel anziehen, Kratzer abbekommen,
wird sich als Filmmaterial und als Projektion im Laufe der Zeit konkret
verändern.
MG: Mit Riddle, Beuys und Paik halten wir uns historisch im Fluxusumfeld auf, in dem viele Künstler eher spielerisch mit Zeit umgegangen sind. RB: Und auch streng konzeptionell. Dieser Aspekt wird bei Fluxus immer
noch übersehen, weil später ja die Concept Art dieses Terrain
exklusiv besetzt hat. Aber nehmen Sie nur die Stücke von La Monte
Young von 1962 wie Draw a straight line and follow it oder die Drip music
von George Brecht, in der Wassertropfen in bestimmten regelmäßigen
Abständen fallen. Ich könnte jetzt unzählige Stücke
dieser Art anführen, müßte dazu allerdings ein paar Schachteln
öffnen, in denen diese Konzepte publiziert und wieder vergessen wurden.
Aber Fluxus hat nie eine Ideologie aus seinen Ideen gemacht und ist nicht
verbissen an die Durchsetzung herangegangen, sondern, wie Sie sagen, eher
spielerisch und zwischen zwei Gläsern Bier. Wenn ich etwas von Broodthaers
oder Beuys oder Paik und vielen Fluxuskünstlern gelernt habe, dann
dieses, daß man über Kunst auch lachen können muß.
Wenn mir ein Künstler lange seine Arbeit erklärt, man sich dann
für einen Moment zurücklehnt, ich ihm in die Augen sehe, und
er zu lachen beginnt, dann weiß ich, daß es lohnt, weiter mit
ihm zu reden. Nehmen Sie doch die ÑJoccondaì von Filliou mit dem deutschen
Titel Bin in 10 Minuten zurück, Mona Lisa. Dazu ein Putzeimer mit
Schrubber. Wieviel Philosophie steckt in einem solchen Werk, wieviel mehr
als zum Beispiel in Eisenmans Holocaust Mahnmal. Ich meine, wieviel Menschlichkeit
ist in einer solchen Arbeit und wie wenig ist in den Steinblöcken.
Oder sehen wir uns One Year von Maciunas an. Da ist streng festgehalten
und in eine plastische Form gebracht, was alles er in einem Jahr verzehrt
hat. Ein wirklich strenges Stück Konzeptkunst, das ein Jahr dokumentiert.
Aber, wenn man bedenkt, wie oft der Mann deshalb in Supermärkte gerannt
ist und nach Sonderangeboten Ausschau gehalten hat, und wie einseitig er
sich aufgrund der Sonderangebote ernährt haben muß, dann ist
so ein Stück doch auch Teil eines Lebens und Überlebens, also
wirklich Zeit.
MG: Für Paik, der Koreaner ist, hat Zeit einen ganz anderen kulturellen Hintergrund, eine andere philosophische Bedeutung. RB: Da ist einmal der andere kulturelle Hintergrund von Bedeutung, aber auch der Umstand, daß Paik ja ursprünglich Komponist ist und von daher immer in zeitlichen Dimensionen denkt. Die räumliche kam später hinzu, ein umgekehrter Weg als bei Beuys zum Beispiel. Ich erinnere mich noch an seine Vor-Videozeit, als er mit Charlotte Moormann durch die Lande zog und Konzerte gab. Wir hatten 1965 einen solchen 3-tägigen Konzertauftritt in Berlin unter dem Obertitel So langweilig wie möglich. Daran werde ich beispielsweise bei der Videoinstallation Killing Time von Sam Taylor-Wood, die wir ja auch zeigen, sofort erinnert. MG: Damit sind wir beim Thema ÑVideoì. RB: Wir präsentieren drei Videoklassiker von Paik. Einen Buddha,
der eine irgendwo im Raum brennende Kerze auf dem Monitor betrachtet, dazu
das erste Video-Multiple überhaupt, Der Denker, der ja in der Konzeption
nahe an die erste Buddha-Installation anknüpft, die sich heute in
der Sammlung des Stedelijk Museum Amsterdam befindet, und in der eine Buddhafigur
sich selbst auf dem Monitor wiedersieht, betrachtet und meditiert. In der
multiplizierten Version tut das der Denker.
MG: Ihre Beschreibung dieser Arbeit erlaubt mir den Brückenschlag zu zwei anderen bedeutenden Positionen in Ihrer Ausstellung, zu Hanne Darboven und On Kawara. Beide verbinden in ihrem Werk subjektive Informationen mit dem Geschehen der Weltgeschichte. RB: Auf wiederum sehr unterschiedliche Weise. Hanne Darboven erschreibt
sich geradezu die Zeit. Tage, Monate, Jahre bilden den Ausgangspunkt einer
systematischen Auflösung und Verdichtung. Eine Analyse des Begriffs
des Zeitablaufs ist in allen ihren Arbeiten enthalten. Mit Urzeit/Uhrzeit
holen wir eine raumfüllende Arbeit aus dem Jahre 1987 aus New York
zurück, die meines Wissens in Deutschland noch nicht gezeigt worden
ist. Darboven ist in Urzeit/Uhrzeit sowohl Chronistin wie auch Schreiberin
der Uhr- und der Urzeit. Sie verbindet unsere Zeiteinteilung nach der Uhr
in einem Zahlensystem mit den riesigen Zeiträumen der Vorgeschichte.
Die Arbeit erlaubt dem Betrachter einen unmittelbar zu empfindenden Eindruck
von Zeit.
MG: Die Visionen von Kuratoren, wie eine Ausstellung aussehen sollte, entsprechen nicht immer den Wünschen der Künstler. RB: Die Erfahrung lehrt aber auch, daß umgekehrt die Wünsche einiger Künstler kaum zu erfüllen sind. Gerade an das Fridericianum werden oft zu große Erwartungen geknüpft. Aber das ist eine andere Geschichte. MG: Wir hatten vorhin das ÑProzeßhafteì angesprochen und hatten eine Entwicklung von Actionpainting, Happening und Performance zum Künstlerfilm angezeigt, es gäbe hier aber auch andere Linien zu verfolgen, wie etwa Abläufe in realer Zeit, biologische oder physikalische Prozesse. RB: Künstler der Land Art Bewegung haben sich natürlich immer
mit Zeit auseinanderzusetzen, Tageszeiten, Nachtzeiten und auch Jahreszeiten.
Ich glaube, Walter de Maria hat einmal gesagt, daß der Künstler,
der mit Erde arbeitet, auch mit Zeit arbeitet. Wir haben weitgehend auf
eine Dokumentation der Land Art verzichtet, aber für die Ausstellung
ein authentisches Beispiel herausgegriffen. Die Fotoarbeit The shortest
day at the van Abbemuseum von 1970. Hier hat Jan Dibbets am kürzesten
Tag des Jahres, also an einem Dezembertag, seinen Fotoapparat vor einem
Fenster in einem Raum des Museums fest installiert und alle 6 Minuten von
Innen nach Draußen fotografiert. Im Ergebnis erscheinen die sich
ändernden Einfallswinkel der Sonnenstrahlen und hierdurch bedingten,
sich verändernden Lichtverhältnissen auf den Fotos. Ein mit einfachen
Mitteln gefertigter Beweis für die Rotation der Erde.
MG: ÑZum Raum wird hier die Zeitî, könnte man bei dieser Arbeit Richard Wagner zitieren, ein konkreter Umgang mit Raum und Zeit. Auf andere Weise konkret mit realer Zeit, mit einer präzisen Zeitvorgabe zu arbeiten, damit haben sich ebenfalls Künstler beschäftigt, wie der Neuseeländer Billy Apple zum Beispiel. RB: 2í33íí ist eine Anspielung auf 4ë33î von Cage und seinen eigenen
Namen. Anstelle der drei musikalischen Sätze hat sich Billy Apple
drei Äpfel genommen und in der vorgegebenen Zeit von 2ë33î angebissen.
Dann hat er diese drei Apfelreste in Bronze gegossen und angemalt.
MG: Diese Arbeiten Kozlowskis könnten als Action-drawings bezeichnet werden, weil der physische Akt der Ausführung von großer Bedeutung ist, sie könnten in unserem Gespräch aber auch eine Brücke zur Concept Art bauen. RB: Die durch Künstler wie Stanley Brouwn, Lawrence Weiner und Joseph Kosuth repräsentativ vertreten ist. Art as idea as idea von 1967 mit der lexikalischen Definition des Wortes ÑTIMEì ist eine klassische Konzept-Arbeit von Joseph Kosuth. Der Begriff der Zeit wird rein gedanklich abgehandelt, wie auch bei dem Beitrag von Lawrence Weiner. Vor und nach einem Loch in der Zeit wird in der für Weiner charakteristischen Typographie in englischer und deutscher Sprache auf zwei gegenüberliegenden Wänden stehen. Die Vorstellungskraft des Betrachters wird hier angesprochen. Der Künstler entzieht sich jeglicher visuellen Bevormundung in Bezug auf den Inhalt seiner Aussage. Obwohl ihre Kunst nicht zur klassischen Concept-Art zählt, möchte ich gerne an dieser Stelle auf den Beitrag von Maria Eichhorn zu sprechen kommen, die mit realer Zeit operiert, wenn sie die Öffnungszeiten des Museums für die Ausstellungsdauer von Chronos & Kairos durcheinanderbringt. Museen in Deutschland öffnen und schließen sehr präzise, man könnte seine Uhr danach stellen. Hier greift Maria Eichhorn ein, indem sie diese Disziplin stört und die Öffnungszeiten verlängert, abhängig von den Besuchern des Museums. Sind um 18 Uhr keine Besucher mehr im Haus, schließt das Museum pünktlich, befinden sich noch Besucher in den Ausstellungsräumen, beeinflussen sie innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens die Schließzeiten. Auch für das Aufsichtspersonal wird die täglich wechselnde Schließzeit eine Zeiterfahrung werden. MG: Ich habe einmal nachgezählt: 66 Künstler sind in der Ausstellung mit großen und kleinen Beiträgen versammelt, wir können nicht auf alle einzeln eingehen. Vielleicht aber noch einige Worte zur jüngsten Generation. Unterscheidet sich deren Zeitauffassung von der der älteren? RB: Die junge Generation beschäftigt sich vielleicht etwas spontaner, freier, dafür weniger philosophisch mit dem Thema. Andererseits stellt sie zum Teil größere Ansprüche an die Umsetzung der Beiträge, an deren Präsentation. Aber dies ist ein generelles Phänomen, das mit der Kommerzialisierung der Kunstwelt einhergeht. Der Zeitgeist geht nicht spurlos an den Künstlern vorüber. Time is money. Money bedeutet Erfolg. MG: Abschließend habe ich doch noch eine Frage zum Titel. Chronos und Kairos stehen ja für zwei unterschiedliche Zeitauffassungen, die fortlaufende Zeit und der richtige Augenblick. Lassen sich diese beiden Charaktere bei den Kunstwerken erkennen, folgt die Auswahl der Arbeiten diesen Aspekten? Mit anderen Worten: gibt es eine Abteilung Chronos und eine Abteilung Kairos? RB: ... die dann aufeinander zumarschieren? Nein, natürlich nicht.
Dennoch bereitet es Vergnügen, und die Besucher sind herzlich eingeladen,
sich diesem Vergnügen zu unterziehen, Zuordnungen zu treffen. Drei
Beispiele möchte ich zur Anregung nennen. Zunächst einmal eines
die Auswahl von Künstlern betreffend, das ich exemplarisch an den
drei japanischen Künstlern On Kawara, Miyajima und Mariko Mori darlegen
kann. Während Miyajima und Kawara eindeutig für den ÑChronos-Aspektì
zu nennen sind, verkörpert Mori den Kairos, den Zeitgeist, den richtigen
Moment, die Schönheit des Augenblicks, der ja manchmal auch schwer
zu ertragen ist.
MG: Und Ihr persönliches Verhältnis zu Chronos und Kairos? RB: Um mit Karl Valentin zu sprechen: ÑDie Zukunft war früher auch
besser.ì
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