Tamara Grcic - Fridericianum 12.11.2000 - 4.3.2001



Spannungsfelder zwischen Naturhaftem und Kultiviertem, Distanz und Nähe sind die Themenbereiche der Arbeiten von Tamara Grcic. Die Kunsthalle Museum Fridericianum zeigt neue Videoinstallationen und andere Arbeiten.

KASSEL - Mit fast mikroskopischem Blick schneidet Tamara Grcic kleine Stücke aus dem räumlichen und zeitlichen Kontinuum der Realität - und entrückt die beobachteten Objekte der vertrauten Wahrnehmung, enthebt sie den gewohnten zeitlichen Prozessen, entlockt ihnen eine andere Ebene der Präsenz.
Tamara Grcic, 1964 in München geboren, beschäftigte sich mit Kunstgeschichte und Kulturanthropologie, bevor sie sich dem Studium der Freien Kunst an der Städelschule Frankfurt/M (Klasse Peter Kubelka) widmete. In ihren konkret auf den jeweiligen Ausstellungsraum bezogenen Installationen gelingt es der Künstlerin, der vorgefundenen, vermeintlich vertrauten Realität eine andere, zweite Wirklichkeit zu verleihen. Dinge des alltäglichen Lebens verdeutlichen so zwei den Arbeiten Tamara Grcics immanente Aspekte: Zeit und Zähmbarkeit.
Durch ihre teils poetischen, teils aus größter Nähe beobachtenden Setzungen realer Objekte erfahren die ihnen eigenen sinnlichen Qualitäten damit eine unvermutet hohe Präsenz: Hier öffnet sich nicht direkt ein doppelter Boden, doch scheint die banale Oberfläche der Dinge hauchdünn geworden zu sein - und unter ihr bewegt sich das sonst Verborgene, Gezähmte. Aus früheren "realrealen Stilleben" mit Orangen oder Melonen entwickelte sich seit Mitte der 90er Jahre eine verstärkte Hinwendung zur Fotografie wie zum Film. Mit diesen Medien trat auch zunehmend der Mensch in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen Grcics. Behandelten schon die Frucht-Installationen der Künstlerin das Thema der Kultivierung der Natur und des Naturhaften, das aber unter der Oberfläche weiterhin sein Eigenleben fortführt, bleibt Grcic auch beim Menschen an der äußeren Hülle.
So zeigt eine auf den Straßen New Yorks entstandene Foto-Serie vermeintlich beiläufig aufgenommene Rücken- und Haarpartien in extremer Nahansicht. Deutlich scheinen in den ehemals gebändigten, nun aber in Unordnung geratenen Haarpartien Spuren von kaum gebändigter Naturhaftigkeit auf. Die Projektion des Inneren auf das Außen vollzieht die Videoarbeit TurfãTurfã (1999): Die extreme Nahsicht auf den bewegten Körper, hier Rennpferde, vermittelt einen stark abstrahierten Blick auf eine Hülle des Realen, unter dessen Oberfläche sich eine konzentrierte Kraft abzeichnet - womöglich die Essenz der Dinge.
Tamara Grcic ist Preisträgerin des diesjährigen Maria Sibylla Merian-Preises des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Die Preisverleihung findet in einer Feierstunde anlässlich der Eröffnung der Ausstellung statt.