CENGIZ ÇEKIL

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Cengiz Çekil ist einer der wichtigsten Vertreter der modernen Kunst in der Türkei, die nach neuen visuellen und formalen Definitionen in der Kunst suchten, welche mit den dramatischen sozialen Veränderungen der 70er und 80er Jahre hätten korrespondieren können. Fernab von den ästhetischen Konventionen des konservativen akademischen Kunstbetriebs verwendete Çekil billige Alltagsgegenstände, wie z.B. Schreibwaren, Eisenwaren, Baumaterial, Abfälle und Tageszeitungen. Aus den verschiedenen Schaffensperioden hat eine Reihe von Arbeiten aus dem Jahr 1976 unlängst wieder den Beifall der Kritiker erhalten.

Unwritten besteht aus Titelbildern von aufeinander folgenden Ausgaben einer bekannten türkischen Tageszeitung, wobei die Texte durch zusätzlich aufgeklebtes weißes Papier verdeckt wurden, so dass nur die Bilder auf der Seite zu sehen waren. Die visuelle Wirkung wurde paradoxerweise durch diesen Akt der Verhüllung und De-Kontextualisierung noch verstärkt. Bilder von bekannten Politikern, Terroristen, Pop-Stars und unbekannten Menschen gehen fließend in Bilder von Kundgebungen, Prozessen, öffentlichen Reden, Verbrechen und Ereignissen über, an die man sich gar nicht mehr erinnern kann und auf die man sich keinen Reim machen kann.

Çekils minimale Eingriffe in die Tageszeitungen verdeutlichen die ekelerregende soziale Schizophrenie einer politisch aufgeladenen Gesellschaft, deren Gemeinschaftssinn während der letzten zwei Jahrzehnte nach und nach ausgelöscht wurde.

In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurden eine Reihe weiterer Werke von Çekil in Gruppenausstellungen gezeigt, die einen großen Einfluss auf die türkische Kunstszene ausgeübt haben. Diese skulpturalen Installationen mit quadratischen, rechteckigen und symmetrischen Formen bestanden aus aufgeschichtetem Baumaterial, wie. z.B. Holzbalken, Stahlplatten und dicke Plastikfolie. Diese Gegenstände, die nicht miteinander verbunden waren, stellten einen deutlichen Bezug zur zunehmenden Migration und zur kurzlebigen und fragilen Beschaffenheit der neuen illegalen Slums dar, die ‚über Nacht’ in den Randbezirken der großen Städte entstanden waren. Diese Installationen nahmen eine neutrale und unparteiische Haltung ein. Çekil ließ eine ganze Reihe an Interpretationsmöglichkeiten zu anhand von Hinweisen auf Urbegriffe, die über die gegenwärtigen gesellschaftlichen Phänomene hinausgehen können: wie z.B. die Familie als Einheit, die Sehnsucht nach Schutz, das Erbauen eines Tempels und die vollkommenen Formen aus der Geometrie.

Erden Kosova

Deutsch: Uli Nickel

 

 

CENGIZ ÇEKIL

 

Cengiz Çekil is one of the key figures of contemporary art in Turkey, who searched for new visual and formal definitions in art which could correspond to the dramatic social transformations of the seventies and eighties. Distant to the aesthetic conventions of academic conservatism of that time, Çekil made use of cheap everyday materials, such as stationary hardware items, construction materials, throwaway objects and daily publications. From various blocks of productions, a series of works originating from 1976 has recently found critical re-acclaim. Unwritten was composed of successive front pages taken from a popular Turkish daily, with blank paper glued on them so that only the illustrations remained visible. The effect of visuality was paradoxically enforced by this act of concealment and decontextualisation. Portraits of political leaders, terrorists, pop-stars, and now unnameable people bled into the images of rallies, trials, public speeches, crimes committed and events impossible to remember and to make sense of. Çekil´s minor interventions on the newspapers exposes the nauseating social schizophrenia of a politically charged society whose sense of collectivity has been slowly wittled down during the last two decades. During the first half of the nineties, another sequence of works by Çekil was exhibited in group shows which strongly influenced the Turkish art scene. These sculptural installations with square, rectangular and symmetric forms were composed of piled-up construction materials, such as bricks, wooden beams, steel plates, and thick plastic sheets. These items which weren´t cemented to each other, obviously referred to the growing inner migration and the ephemeral and fragile character of the new illegal slums “built overnight” in the hinterlands of big cities. There was a certain neutrality and indifference in stance emanated from these installations. Çekil opened them up to wider interpretation through references to primordial ideas, which transcended the actual reality of the social phenomena, such as the family unit, the need for shelter, the building of a temple, and the ideal forms of geometry.

Erden Kosova