ESRA ERSEN

English version

 

   Hamam, 2001 (Still)
 
Die beiden Hauptmerkmale von Ersens Kunstschaffen – Ortsspezifität und beißende politische Kritik – waren bereits in ihren früheren Arbeiten zu erkennen. Eine Kritik an repressiven Diskursen, die nicht nur durch staatliche Mechanismen, sondern auch durch den konformistischen Rückzug der breiten Öffentlichkeit aus dem öffentlichen Raum zustande kamen, äußerte Ersen in ihren Arbeiten in Form einer Distanz zwischen ihr selbst und dem Publikum – eine Distanz, die verletzen sollte. Was durch einen erstickenden Konsens unterdrückt, versteckt oder unsichtbar gemacht worden war, wurde an die Oberfläche gebracht.

Ersens Erfahrungen während einer Reihe längerer Aufenthalte in Westeuropa haben ihre Arbeiten offenbar entscheidend beeinflusst. Sie behielt die Dynamik der Ortsspezifität und der politischen Kritik bei, konzentrierte sich nun aber auf die kommunikative Dimension, die während des Kunstproduktionsprozesses entsteht – die Interaktion zwischen den Figuren ihrer Arbeiten und dem Publikum. Diese Dimension wiederum führte sie zur Beschäftigung mit den Unterschieden zwischen der Kultur ihres Heimatlandes und der jener Länder, in denen sie arbeitete und ausstellte. Parallel dazu wechselte sie in ihren Arbeiten vom Medium der Installation, das eine unmittelbare, beunruhigende Atmosphäre erzeugen sollte, zu Doku-Erzählungen mit dramatischem Verlauf. Zu den Strategien, die Ersen in der Zeit dieser Aufenthalte auf spielerische und manchmal leicht provozierende Art einsetzte, gehörten die Aufhebung der Konventionen kultureller Klischeebildung, die Umkehrung und Verfremdung der Klischees vom Westen und dessen Vorstellung vom Anderen, eine Verweigerung der gegenständlichen Ausdrucksformen, welche die Institutionen, die sie einluden, von ihr erwarteten, sowie eine bewusste Verlagerung ihrer Themen hin zum Banalen und zur Selbsterotisierung.

Die neueren Projekte von Ersen nehmen Minderheiten oder bestimmte Randgruppen innerhalb verschiedener Kontexte zum Ausgangspunkt. Den Trost gekünstelter Gesten der Empathie für das Andere ablehnend, problematisiert Ersen ihre eigene Autorität über die Handlung in ihren Videoarbeiten, in denen die Erzählstrukturen langsam von den befragten Personen übernommen werden, wenn sie auf überraschende Art und Weise ihre eigene Kritik, ihre Träume, Wünsche und kleinen Utopien formulieren.

Erden Kosova

Deutsch: Birgit Herbst

 

 

ESRA ERSEN

 

The two main characteristics of Esra Ersen´s works - site-specificity and a biting political edge - were already apparent in her earlier works. A critique of repressive discourses, operated not only through the state mechanisms, but also through the conformist retreat by the population as a whole from public space, was translated into Ersen ´s works as a distance she retained between herself and the audience - a distance meant to hurt. What had been repressed, concealed or rendered invisible by a suffocating consensus was brought to the surface.

Ersen´s experiences during a series of extended stays in Western Europe seem to have had a dramatic impact on her works. Having retained the two dynamics of site-specificity and critical political attitude, she started to focus on the communicative dimension surfacing during the process of art production, on the interaction between the protagonists of her works and the audience. This dimension, in turn, led her to study the cultural differences between her culture of origin and the ones in which she was working and exhibiting. Parallel to this, the choice of medium in her works shifted from installations designed to produce a first-hand, unsettling atmosphere towards docu-narrations pursuing a dramatic course. Undoing the conventions of cultural stereotyping, reversing and de-familiarizing the clichés and ascribed qualities about the West and its Others, resisting the representational modes of expression which were expected of her by the inviting institutions, and deliberately pushing her topics towards banality or self-erotization were some of the strategies Ersen employed in a playful, and sometimes lightly provocative manner during this period.

Ersen´s most recent projects are based on some minorities or marginalities within various contexts. Defying the comfort of contrived gestures of empathy for the Other, Ersen questions her own authority over her videos´ plots, in which the structures of narration are being slowly taken over by those she interviews and in which they elaborate on their own critiques, dreams, wishes, minor utopias in unexpected ways.

Erden Kosova