JANNIS KOUNELLIS

English version

 

Das dritte Fenster im zweiten Stock des Palazzo Farnese ist mein Glaubensbekenntnis. Ich habe sonst nichts, das ist alles, aber es genügt, um mich zu einem internationalen Interlokutor zu machen. Bei meiner Arbeit kann ich ohne dieses Fenster nicht auskommen: es ist eine Verpflichtung. Es gibt Leute, die an das Wort Gottes glauben, ich glaube an dieses dritte Fenster im zweiten Stock des Palazzo Farnese. Es gibt mir die Kraft, Kunstwerke zu erschaffen. Das Fenster ist eine Idee, genauso wie eine Tür eine Idee ist. Eine Idee, eine Erfindung, nichts „Neumodisches“, etwas aus dem fernen Altertum. Etwas „Neumodisches“ existiert nicht. Es ist falsch zu glauben, dass ein Maler etwas „Neumodisches“ produzieren könnte, er bekäme dann eine unbedeutende Rolle in der Geistesgeschichte zugewiesen. Ein Stylist könnte eine solche Rolle einnehmen, aber kein Maler und kein Dichter.

Das Eisen dient dazu, das Papier hervorzuheben. Eine Papierarbeit wäre auch eine mögliche Lösung gewesen. Es wäre ein deskriptives Werk geworden in Bezug auf das allgemeine Thema. Das Risiko hätte darin bestanden, in einem geringeren Sinne auch weiterhin mit all dem Rest vermischt zu werden, mit dem hauptsächlich ausgestellten Material. (...) Zuglich gibt es weder eine Tradition des Rahmens ohne Maler noch die des Druckens ohne Schriftsteller etc. Wir müssen uns der Ausstellung bewusst sein und ihre Grenzen durch ein Werk verändern... Das Eisen dient dazu, das Papier hervorzuheben. Eine Vorstellung von Eisen, die an das letzte Jahrhundert gefesselt ist, an etwas, das gar nicht mehr existiert. Man „benutzt“ es im Wissen, dass es nicht mehr existiert. Man nimmt sich des Materials wieder an, das seine pragmatische Spannung verliert. Es wird geschmeidiger, kann berührt und wie Papier gefaltet werden. Die Auswahl des jeweiligen Künstlers impliziert einen unterschiedlichen Wert. (...)

Kunst zu erschaffen ist ein Bedürfnis, anschließend findet man eine Sprache, mit der man ein Bild entwerfen kann. Jedes Zeitalter identifiziert sich mit einem neuen Bild, das aber nichtsdestotrotz die Vergangenheit als Vorstellung und als Sprache beinhaltet, auch wenn diese grundlegend umgestaltet wurde.

Jannis Kounellis

Zuerst erschienen in: Jannis Kounellis, Charta, Milan, 1995. In diesem Fall stammt der Text aus: Jannis Kounellis. Works, Writings 1958-2000. Herausgeberin: Gloria Moure, 2001, S. 314


Deutsch: Uli Nickel

 

 

JANNIS KOUNELLIS

 

The third window on the second floor of the Palazzo Farnese is my credo. I do not have anything else, this is all, but it is sufficient to make me an international interlocutor. In my work I cannot do without that window: it is an obligation. There are those who believe in the Word, I believe in this third window of the second floor of the Palazzo Farnese. It gives me the strength to make artworks. The window is an idea just as a door is. Idea, invention, not “novelty”, the remotest antiquities. “Novelty” does not exist. It is false to think that a painter could produce “novelties”, he would be assigned a minor role in the history of thought. A stylist can have a similar role, but not a painter, not a poet.

The iron serves to highlight the paper. A paper work would also have been a possible solution. It would have been a descriptive work in relation to the general theme with all the risk of remaining amalgamated, in a lesser sense, with all the rest, with the principal material exhibited. (…) At the same time, there is no tradition of the frame without painters, of printing without writers, etc. We have to be conscious of the exhibition and change its terms with a work. .. The iron serves to highlight the paper, a concept of iron shackled to the last century, something that no longer exists. You “use” it given that it no longer exists. You take up once again this material that loses its pragmatic tension, becomes more malleable, can be touched, folded like paper. Each artist’s choice implies a different value. (…)

To make art is a need, then you find a language with which to construct an image, every age identifies with a new image, that nevertheless contains the past as imaginary and as language, albeit essentially reformed.

Jannis Kounellis

First published in Jannis Kounellis, Charta, Milan, 1995; here: Jannis Kounellis. Works, Writings 1958-2000, editor Gloria Moure, 2001, S. 314