LAIBACH

English version

 

   Monumental Retroavantgarde, 2003
 
Befragung des Alltäglichen

Laibach, die fälschlicherweise häufig als reine Musikgruppe verstanden wurden, haben viele konzeptuelle physische Aktionen durchgeführt. Alltägliche Zusammenhänge in Ljubljana sind zu Orten spektakulärer Tabuverletzungen und Befremdung geworden. Die von Laibach ausgelösten Reaktionen indizieren sowohl Unterdrückung als auch Apathie. Die Aktionen XY-Unsolved und Einkauf im City Park waren zwei der gewagtesten und spielten in verschiedenen, jedoch verwandten Kontexten mit den gleichen Ängsten. Zu beiden Aktionen erschienen Laibach in Militäruniformen (im einen Fall in jugoslawischen, im anderen in deutschen) und trugen beunruhigend mehrdeutige Armbinden mit einem schwarzen Kreuz. Im Jahr 1983 nahmen einige so sehr Anstoß an Laibachs deutschem Namen und ihren Provokationen, dass sie von Laibach nur als „diese Gruppe“ sprechen konnten. Der Anblick von Laibach im Fernsehen sowie ihre extremen (zum Teil auf jugoslawischer Ideologie basierenden) Aussagen provozierten einen Mediensturm, der die Gruppe in den Untergrund 1 trieb und den Stadtrat von Ljubljana dazu veranlasste, ein vierjähriges Laibach-Auftrittsverbot über die Stadt zu verhängen.

Nachdem sich Laibach mehrere Jahre zurückgehalten hatten, musste 2003 wohl so mancher gehofft haben, dass ihre Heimsuchungen definitiv aufgehört hatten. Doch dann tauchten sie unangekündigt wieder auf, schlichen sich in SS- und Wehrmachtuniformen in Ljubljanas größtes Einkaufszentrum, schoben einen leeren Einkaufswagen vor sich her und inspizierten schweigend den Konsumtempel, weigerten sich, Spaß zu haben und zu konsumieren – wie beunruhigende Spukgestalten, welche die öffentliche Lustbarkeit störten. Gerade als die postsozialistische Normalität zu triumphieren schien, störten Laibach die Kanäle öffentlicher Kommunikation und des Konsums und erzeugten durch ihre bloße Präsenz eine (Nicht-) Reaktion. Diese kurze, geisterhafte Aktion wurde zufällig von einer CCTV-Filmcrew beobachtet. Dieses Mal gab es keinen Aufschrei; die Kauflustigen lachten nervös oder blieben ungläubig stehen, und Laibach verließen die Szene unbehelligt. Die „laibachisierte“ slowenische Öffentlichkeit kann inzwischen alle Arten künstlerischer Exzesse tolerieren, verrät aber auch eine Unfähigkeit, zu reagieren oder irgendeine starke Reaktion zu artikulieren. Diejenigen, die von Laibach als die „erste Fernsehgeneration“ bezeichnet wurden, konnten 1983 noch geschockt werden, aber die zweite und dritte, vom Konsum-Pop-Spektakel systematisch abgestumpfte Fernsehgeneration, akzeptiert täglich alle möglichen politischen und kulturellen Ausschreitungen, solange die Freiheit zu konsumieren davon nicht beeinträchtigt wird. Wenn Laibach der letzte Sündenbock waren, so sind sie inzwischen zum Ankläger geworden; sie klagen symbolisch die Passivität und den Wunsch an, die Vergangenheit zu vergessen, indem sie das Böse des Banalen ergründen.


1) Der Moderator bezeichnete Laibach als „Feinde des Volkes“ und appellierte an die Bürger, „... zu handeln und diese schrecklichen Ideen und Aussagen mitten in Ljubljana zu verhindern.“

Deutsch: Birgit Herbst

 

 

LAIBACH

 

Interrogating the Everyday

Frequently misunderstood as a purely musical group, Laibach have staged many conceptual-physical actions. Everyday contexts in Ljubljana have become sites of spectacular alienation and transgression. Reactions generated by Laibach index both repression and apathy. The actions XY-Unsolved and Einkauf im City Park were two of the most audacious, playing on the same fears in different but related contexts. Both featured Laibach in military uniform (in one case Yugoslav, in the second German) plus sinisterly ambiguous black-cross armbands. In 1983, some were so offended by Laibach’s German name and provocations they could only refer to it as “that group”. The sight of Laibach on TV, together with its extreme statements (partly based on Yugoslav ideology) provoked a media storm, driving the group underground 1 and provoking the Ljubljana council to impose a four-year ban on Laibach appearances in the city.

By 2003, after several low-profile years, some must have hoped that Laibach had finally ceased to exist. Then Laibach reappeared unannounced, slipping into Ljubljana’s largest shopping centre in SS and Wehrmacht style uniforms, with members pushing an empty shopping cart, silently inspecting the temple of consumerism, refusing to enjoy or to consume, disturbing spectres haunting the public feast. Just when post-socialist normality appeared to be triumphant Laibach regenerated interference in the channels of public communication and consumption, generating a (non-) response purely by their presence. This brief, ghostly action was seen by chance onlookers, CCTV and the film crew. On this occasion there was no outcry, shoppers laughed nervously or disbelievingly stopped in their tracks, and Laibach left unchallenged. The “Laibachized” Slovene public is now able to tolerate all sorts of artistic excess but also betrays an inability to react or to articulate any strong response. In 1983 what Laibach called the “first TV generation” could still be shocked, but the second and third TV generations, systematically numbed by consumer-pop spectacle, daily accepts all manner of political and cultural outrages as long as the freedom to consume is unaffected. If formerly Laibach was the ultimate scapegoat it has now become the accuser, symbolically indicting passivity and the desire to forget the past, interrogating the evil of banality.

Alexei Monroe


1) The presenter denounced Laibach as “enemies of the people”, appealing to citizens to “…act and repress these horrifying ideas and declarations here in the middle of Ljubljana.”