AYDAN MURTEZAOĞLU

English version

 

   Untitled, 2002
 
In ihren zahlreichen Arbeiten geht es Aydan Murtezaoğlu darum, eine „Perspektive von innen“ zu artikulieren. Aufgrund ihres Misstrauens gegenüber der vom Künstler beanspruchten externen Position als Kritiker der Kultur, der er/sie angehört, sucht Murtezaoğlu nach Möglichkeiten, ihre eigene Verankerung in dem sozialen Gefüge, mit dem sie sich beschäftigt, zum Ausdruck zu bringen. Diese Entscheidung birgt jedoch auch die Gefahr, einer sozialpessimistischen, wenn nicht gar konservativen Position bezichtigt zu werden. Einerseits stößt man in Murtezaoğlus Arbeiten auf Grenzen und strukturelle Beschränkungen der türkischen Gesellschaft, wie Intoleranz gegenüber sämtlichen Überschreitungen, den paternalistischen Staatsapparat, die performative Entstehung normativer Geschlechterrollen durch familiäre Beziehungen, die strikte Trennung von Geschlechtern im öffentlichen Raum und so weiter. Andererseits verweisen die von hinten aufgenommenen Protagonistinnen in einer Reihe von Murtezaoğlus Fotografien auf gewisse Fluchtmöglichkeiten und Praktiken des Ungehorsams und des Widerstands. So sitzt eine der Figuren am Ufer des Bosporus und verbiegt auf unheimliche Art die Stadtlandschaft von Istanbul nach links; eine andere hält sich an einer Antenne fest und versucht verzweifelt, in dem starken, von links blasenden Wind ihr Gleichgewicht auf einem Dach zu halten – die Richtungen fungieren möglicherweise als Metaphern für politische Orientierungen. Eine andere Figur lehnt aus einem offenen Fenster und bläst während eines winterlichen Heizverbots den Rauch ihrer Zigarette in Istanbuls bereits verschmutze Luft. Im letzten Beispiel sieht man eine weibliche Figur im Gras liegen; sie versucht die Kontrolle des abgeschlossenen psychischen Raums einer Familie aufzulösen, die in der Ecke eines Parks picknickt, und durch ihr Gestikulieren die Aufmerksamkeit des Vaters auf sich zu lenken ... Berücksichtigt man, dass Murtezaoğlu in diesen Kompositionen selbst zu sehen ist, kann man diese Arbeiten vielleicht als Metaphern für den allgemeinen Status von Künstlern in der türkischen Gesellschaft und Murtezaoğlus geringfügige Manipulationen der Fotografien mittels Photoshop als bescheidene Gesten der Störung betrachten.

Erden Kosova

Deutsch: Birgit Herbst

 

 

AYDAN MURTEZAOĞLU

 

In several works Aydan Murtezaoğlu strives to articulate a “perspective from within”. Suspicious of the self-proclaimed external position of the artist as a critic of the culture s/he inhabits, Murtezaoğlu seeks out the ways in which she could express her own embeddedness within the social texture she deals with. This choice, in turn, carries in itself also the danger of being labelled as a social-pessimist, if not a conservative, position. It is true that one can find in Murtezaoğlu's works closures and structural constraints of Turkish society: intolerance to any transgression; the paternalistic state apparatus; the performative formation of normative gender roles by familial relations, the delicate segregation of sexes in public space, and so on. Yet, the female protagonists caught from behind them in a series of photographs by Murtezaoğlu display a certain potential for escape and minor-scale practices of disobedience and resistance: one of them is phantasmatically bending the Istanbulian cityscape towards the left from her seat on the bank of Bosphorus; another is holding on to an antenna, trying desperately to keep her fragile balance on a roof against the strong wind blowing towards the right - the directions operate perhaps as metaphors of political leanings - ; another figure is leaning from the open window, exhaling the smoke from her cigarette, towards the already polluted air of Istanbul during a restricted, winter-time heating regime; and as the last example, another female figure lying on the grass, trying to deregulate the enclosed mental space of a family sharing a luncheon in a corner of a park and attracting the attention of the father by her gesticulations… Considering the fact that Murtezaoğlu uses her own figure in these compositions, we may read these works as metaphoric comments on the general status of artists in Turkish society and her minor manipulations of the photographs via photoshop techniques as humble gestures of interruption.


Erden Kosova