EBRU ÖZSEĆEN

English version

 

Es war einmal ein Mädchen

Ich fürchte mich vor Drucksachen. Nicht weil sie eigene Regeln festlegen, sondern weil ich dazu neige, alles Gedruckte zu glauben. Wenn man mich fragt, was mir heute zu dieser Arbeit einfällt – dann denke ich daran, wie jung ich damals war und erinnere mich noch, wie ich mit meinem Wagen irgendwo in Ankara herumfuhr, um “Kaffeetassen mit Mantel” als Requisiten zu finden. “Kaffeetassen mit Mantel” nennt man solche Kaffeetassen wie die, die man auf dem Foto sieht. Die Chrommetall-Ummantelung umschließt die zerbrechliche weiße Tasse aus Porzellan und fungiert quasi als Keuschheitsgürtel. Ich entsinne mich, dass ich das Silbertablett von der Frau meines Onkels borgte und meinen eigenen Onkel ohne rot zu werden um die Papiere bat, die man braucht, um Prostituierte zu werden. Vermutlich wusste er, was ich vorhatte, und zum Glück erzählte er meinem Vater nie davon. Er unterstützte meine Untersuchungen zu dem Thema und als hoher Beamter in der öffentlichen Verwaltung besorgte er mir das Dokument, das ich brauchte. Als ich das Bild in dem Fotostudio aufnehmen wollte, suchte ich nach einem Modell, das als Braut posieren sollte. Alle dort sagten zu mir: “Na komm, mach es selbst. Dein schwarzer Pullover bildet mit dem Silber einen sehr schönen Kontrast.” So kam es, dass ich selbst mit dem Tablett in der Hand posierte. Wahrscheinlich hatten sie Recht, ich war auf dem gesamten Uni-Campus das perfekteste Modell für den Job.

Später riet man mir, dieses Foto zumindest als Edition mit einer Auflage von acht Exemplaren zu drucken und sie für je $ 800 zu verkaufen. Ich antwortete spontan: “Wie soll das gehen? Diese Art von Arbeit kann nur einmal gedruckt werden, aber vielleicht könnte man das Papier dahinter jedes Mal mit dem aktuellen Eröffnungsdatum darauf vervielfältigen.”

Endlose Zeremonien im Haus meines Großvaters für meine zwei schönen Tanten, die erst spät heirateten. All die Rituale des Kaffeetrinkens, wenn die Eltern des jungen Mannes kamen, um im Salon meiner Großeltern zu sitzen. Und als wir meinen geliebten Großvater verloren, wurden die ganzen Zeremonien in unser Wohnzimmer verlagert, weil mein Vater nun das älteste Mitglied der Familie war; es ging darum, die Kandidaten zu empfangen, oder eher: ihnen meine Tanten zu zeigen. Für jede Zeremonie kaufte meine Mutter neue Kleider für uns Kinder, die Glück bringen sollten. Oder wir eskortierten unsere Tanten als Sicherheitskonvoi. Ich erinnere mich, wie ich tagsüber mit ihnen in Gaststätten landete. Manche Leute in der Stadt hielten meinen Bruder und mich für ihre Kinder. Die Freitagabende wurden immer zu einer Mischung aus Verlegenheit und Spaß, und ich muss sagen, dass sie durch das Erscheinen der Heiratskandidaten jedes Mal sehr visuelle Ereignisse waren. Alles drehte sich ums Vorzeigen.

Ebru Özseçen

Juli 2003


Deutsch: Birgit Herbst

 

 

EBRU ÖZSEĆEN

 

Once there was a girl

I am afraid of printed matter not because it formalizes rules of its own, but because I tend to believe everything I read. If you ask me what I think about this work today - I am thinking of how young I was, I still remember how I drove my car in the middle of nowhere in Ankara in order to find the “coffee cups with envelopes” as props. The coffee cups in the photograph are a type, which is called “coffee cups with envelopes”. The chrome-plated metal covering on the outside surrounds the fragile white porcelain cup and conjures up a chastity belt. I remember how I borrowed the silver tray of my uncle´s wife, and asked my very own uncle for the legal papers to become a prostitute, without blushing. Probably, he knew what I was up to and luckily never told my father about it. He supported my research on the subject and as a high official in public administration he supplied me with the document needed. In the photo studio, when I wanted to produce the picture, I looked for a model bride. Everybody there said, like, “come on,

you can do it yourself. Your black pullover will work out fine with the silver in contrast.” That is how I ended up posing myself, holding the tray. Probably, they were right, I was the most perfect model for the job in the entire territory of the university.

Later I was advised to print this picture at least as an edition of eight and sell them for $ 800 each. I answered spontaneously “How is it possible? This kind of work can be only printed once, but maybe the paper behind could be multiplied, with the actual opening date printed on it”.

Endless ceremonies at my grandfather´s home for my two beautiful aunts who ended up marrying at a late age. And all the coffee offering rituals when the boys´ parents arrived to sit in my grand parents´ salon. And when we lost my very dear grandfather – the succession of ceremonies was transferred to our family living room with my dad acting as the senior family representative in order to see the candidate, or in other words: to show my aunts to them. For every ceremony my mum would buy new dresses for “bonne chance” for us kids. Or we escorted our aunts as a security chain. I remember ending up at pubs with them, in full daylight. Some people in town thought me and my brother were actually their children. And Friday nights always turned into a mix of embarrassment, fun, - and most of the time, very visual events, I must say - with the appearances of candidate grooms. Everything was about showing.

Ebru Özseçen

July 2003