BÜLENT ŞANGAR

English version

 

In seinen frühen Fotoserien zeigte Bülent Şangar den Terror, der das öffentliche Leben in der Türkei Mitte der 1990er-Jahre beherrschte, und wie diese politische Gewalt von den Individuen und der Mehrheit der türkischen Bevölkerung übernommen und auf das alltägliche Leben übertragen wurde. Ein weiteres Anliegen in diesem Abschnitt von Şangars Kunstproduktion war der Trend zur Homogenisierung des täglichen Lebens, welche die vom unternehmerischen Kapitalismus geförderten Erscheinungen in Richtung des militaristischen Spektrums treibt. Spätere Arbeiten Şangars problematisierten sowohl den öffentlichen als auch den privaten Raum in der Türkei. In einer Fotoserie setzte er sich mit der konfliktreichen Erscheinungsweise von öffentlichem und urbanem Raum in Großstädten auseinander und damit, wie Einwandermassen aus den provinziellen und konservativen Regionen Anatoliens sich diese aneignen und ihnen so eine neue Bedeutung geben. Parallel dazu verlagerte sich seine spezielle Beschäftigung mit dem Thema Tradition auf die häusliche Umgebung, in der er tragische Momente wie Tod, Mord und Opfer inszenierte. Der familiäre Raum wurde gekennzeichnet durch eine solidarische, aber auch überaus einschränkende Qualität. Die neuesten Arbeiten des Künstlers gehen noch einen Schritt weiter und stellen die Sicherheit des Haushalts infrage, der in früheren Arbeiten als Schutzraum zu fungieren schien, oder zumindest als ein Ort, an den man zurückkehren kann. Das Individuum ist nun vollständig isoliert, den aggressiven, von außen eindringenden Kräften ausgesetzt und auf einen embryonischen Zustand des Überlebens reduziert. Die Figuren stammen meist aus den fragilsten und am meisten schikanierten Schichten der Gesellschaft. Hausfrauen oder Studentinnen werden in Schutzhaltung zusammengerollt auf dem Boden liegend gezeigt, als würden sie damit rechnen, dass es zu einer Naturkatastrophe, vielleicht einem Erdbeben kommt, oder sie versuchen ihr Gesicht vor einer verurteilenden, ja kriminalisierenden Kamera zu verbergen, die eine Verbindung zwischen der brutalen Polizeigewalt und dem pornographischen Blick der ereignishungrigen, postpolitischen und korrupten Massenmedien herstellt, denen jegliche Ethik fehlt.


Deutsch: Birgit Herbst

 

 

BÜLENT ŞANGAR

 

In his early photograph series, Bülent Şangar depicted the terror dominating public life in Turkey in the mid-nineties, and the ways in which this political violence was transported and translated into the quotidian life by individuals and the majority of the population. A parallel concern in this period of Şangar's production was based on the tendencies of homogenisation of daily life, pushing the manifestations promoted by the corporate capitalism towards the militaristic spectre. The following works by Şangar problematised both the public and private, and space in the Turkish specificity. In a series of photographs he deals with the conflict-ridden nature of the public, urban realms in metropolitan cities, which are being appropriated and re-signified by the migrated masses, flowing in from the provincial and conservative regions of Anatolia. Parallel to this, his particularised take on the issue of tradition shifted towards domestic environments and using them as a setting for staging tragic moments such as death, murder or sacrifice. The familial space was marked as suffused by both solidarity and a suffocatingly constrictive quality. The latest works of the artist go a step further and raise his doubts about the safety of the household, which in his previous work seemed to function as a shelter, or at least somewhere to return to. Now, the individual is completely isolated, exposed to the fierce forces blitzing from the outside world and reduced to an embryonic state of survival. Figures mostly taken from the fragile and victimised segments of society, such as housewives or female university students, are seen lying on the ground in a curled, self-protective posture as if they were waiting for a natural disaster, perhaps an earthquake, to happen; or trying to hide their faces in front of a judgemental and even criminating camera, combining the brutal police force and the pornographic stare of a corrupted, event-thirsty, post-political and ethic-free mass media.


Erden Kosova