CENGIZ TEKIN

English version

 

   Untitled, 2002
 
Die Tradition populärer humoristischer Magazine in der Türkei hat sicher viele Generationen beeinflusst, aber für all jene, die ihre Teenagerjahre nach dem Staatsstreich von 1980 erlebten, waren diese Publikationen die einzige Plattform zur Entfaltung von politischem Dissens und einer gewissen Jugendkultur. Als ergebener Fan dieser Tradition, die er zeitweilig auch selbst aktiv betrieb, verschmolz Cengiz Tekin die Sprache der lokalen Karikatur mit anderen visuellen Medien. Eine Reihe von Fotografien zeigt den halb nackten Körper des Künstlers in verschiedenen Positionen zwischen Stapeln von Matratzen. Neben der vordergründigen Absurdität enthalten diese Kompositionen einen doppelten Hinweis auf gesellschaftliche Einschränkungen und eine spielerische Kritik an ihnen. Zunächst verweist die Matratze auf den klaustrophobischen Raum großer Familien mit ihren sehr intensiven und restriktiven Bindungen und Grenzen. Durch die direkte Versetzung von einem häuslichen Raum zum nächsten, vom Elternhaus zum ehelichen Haushalt, entfallen die räumlichen und zeitlichen Voraussetzungen für den Individuationsprozess. Die große Zahl der Matratzen lässt zudem an Feste südostanatolischer Feudalherren und an die Bewirtung vieler Gäste denken – eine Geste der Großzügigkeit, um die Hierarchien der Tradition fortzusetzen. In einer weiteren Reihe von Fotografien stellt Tekin verschiedene Aufschriften von verschiedenen Fassaden einander gegenüber, in denen das Abladen von Müll verboten wird. Die zur Abschreckung potenzieller Müllentsorger auf die Fassaden gemalten Schimpfwörter sind entsetzlich derb; sie stehen im Widerspruch zu der Harmonie, die nach landläufiger Vorstellung das Innere privater Räume beherrscht, und machen die Maßstäbe eines moralischen Konservatismus und die Spannungen zwischen öffentlichem und privatem Raum deutlich.

Deutsch: Birgit Herbst

 

 

CENGIZ TEKIN

 

The tradition of popular humour magazines in Turkey has influenced many generations, yet for the people who spent their teenage years in the aftermath of the coup d’état of 1980, those publications were the only platforms to elaborate a political dissent and a sense of youth culture. Being a devout follower and once a part-time practitioner of this tradition, Cengiz Tekin fused the language of local caricature with other media of visuality. A series of photographs shows the artist’s own, half-naked body folded in different positions between piles of countless mattresses. Besides the absurdity on the surface, these compositions carry a double reference to and a playful critique of social restrictedness. First, the figure of mattress relates to the claustrophobic space of large families having intensive and restrictive bounds. A direct shift from one domestic space to the other, from the parent’s home to the house of marriage cancels out the spatial and temporal conditions for individuation. The large number of mattresses has a further connotation to the feasts given by feudal lords of South Eastern Anatolia and the hosting of numerous guests – a gesture of generosity to reproduce the hierarchies of tradition. Another photograph series of Tekin juxtaposes different inscriptions on the walls prohibiting littering. The idea of harmony supposedly dominating the inside of private spaces contrasts with the appallingly brutal language on the facades, intended to discourage potential litterbugs, thereby exposing the double standards of moral conservatism and the tension between public and private space.


Erden Kosova