JELENA TOMAŠEVIĆ

English version

 

   Untitled, 2003
 
Interview mit Petar Æukoviæ

P.C.: In letzter Zeit haben Sie Fotografien als Basis für den Großteil Ihrer Arbeiten verwendet. Worin besteht Ihr Interesse an diesem Medium? Wozu dient die Fotografie in Ihren Arbeiten? Außerdem scheint es trotz der Tatsache, dass jeder Fotograf seine eigene “Ästhetik” anstrebt, so zu sein, als ob diese Ästhethik für die künstlerischen Aussagen, die Sie mit Ihren Arbeiten anstreben, keine Rolle spielt.

J.T.: Ich interessiere mich nicht für die Regeln der Fotografie oder der “Ästhetik” und letztlich auch nicht für den künstlerischen Wert eines Fotos. Mein Interesse gilt dem authentischen fotografischen Beweis, den jene Fotografien bieten, die an Verbrechensschauplätzen aufgenommen werden und die vor Gericht dazu dienen, die Rekonstruktion eines Verbrechens zu ermöglichen. Ich erforsche die Logik dieses Materials; für mich geht es darum, Fotografie auf das “worauf es ankommt” zu reduzieren. Um ehrlich zu sein, bin ich immer ganz überrascht, wenn jemand von “meinen Fotos” spricht – ich nenne sie “Kunstwerke”.

P.C.: In anderen Fällen haben Sie das Medium Fotografie zur Schaffung zuvor konzipierter, genauestens durchdachter Werke eingesetzt. Doch sind die Arbeiten, die für die Ausstellung in Kassel ausgewählt wurden, dagegen nicht als eine Art unmittelbare, vielleicht sogar grundlegend existenzielle Erfahrung entstanden, als etwas, das einem nicht wiederholbaren, einzigartigen Augenblick entsprang und sozusagen hic et nunc “gefunden”, entdeckt und als äußerst wichtige und bedeutungsvolle Erfahrung erkannt wurde?

J.T.: Was macht uns so sicher, dass die Welt überhaupt existiert? Nur ihre Charakterisierung des Flüchtigen, Kriminellen und Unvollkommenen. Diese Fotos sind nicht das, was sie zu sein scheinen. Der eigentliche Zustand mit den rot gefärbten Händen währte nur so lange, wie man benötigte, ihn auf das Negativ zu bannen. Im Grunde lenkt die Szene auf dem Foto uns vom Tatsächlichen ab und verbirgt so, wie die Szenerie in Wirklichkeit aussah. Wir – die wir wissen, wie die Szene entstand – wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Illusion und Wahrheit. Die Fotos behaupten, etwas zu sein, was sie in Wirklichkeit nicht sind. Sie sind nichts anderes als eine clevere Darstellung von etwas, das es in Wahrheit nicht gibt. Und wir können nicht beweisen, dass sie nicht das sind, was man denkt. Wie sieht der Ausweg aus dieser Situation aus? Wenn die Welt keine Bezugspunkte oder eigentlichen Ziele kennt, warum glauben wir dann, dass unser Denken sie kennt?

P.C.: Wer ist der Fahrer dieses Autos? Wer kommt bei einer Geschwindigkeit von 40 Kilometern pro Stunde, d. h. bei einer Geschwindigkeit, bei der es möglich ist, sich zu konzentrieren und zu reflektieren, auf den Gedanken, einen visuell verwirrenden Augenblick festzuhalten: Ein Mörder? Ein Maler? Ein Anstreicher? Ein Metzger? Ein Philosoph?

J.T.: Meiner Ansicht nach sollten diese Fotos (Arbeiten) nicht aus einer festen Perspektive betrachtet werden; wenn ich sie im Rahmen starrer Definitionen zu begreifen versuche, würde das nur dazu führen, dass ich mich selbst eingrenze und anderen meine Meinung darüber aufzwinge, was sie auf diesen Fotos sehen sollten. Doch darum geht es mir nicht; ich glaube, dass die Bedeutung eines Kunstwerks nicht in seiner Intention liegt, sondern in der Anstrengung, die für seine Herstellung aufgebracht werden musste (diese Anstrengung kann ein Zustand sein, eine Tätigkeit, eine Interaktion mit der Welt). Manche Leute glauben jedoch, dass Intention alles ist – sie schaffen einen Kontext, erläutern ihre Ziele, und setzen dann voraus, dass der Kontext diese Ziele verifiziert. Diese Art von Intentionen haben den Effekt, dass die jeweilige Arbeit für die Erfahrungen anderer verschlossen bleibt. Ich könnte all die Zustände aufzählen, die ich während der Schaffung dieses Kunstwerks durchlaufen habe, und ich könnte Ihnen auch die Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern erläutern, aber das wäre nur langweilig. Frei nach Heidegger: “Es ist nicht in der Lage, irgendetwas aus sich selbst freizusetzen, weil es nichts enthält außer dem, in dem es eingeschlossen ist.”

Der Sinn dieser Arbeit besteht vor allem darin, Raum für Zweifel zu schaffen. Also könnte ich jetzt behaupten, dass es ein Maler oder ein Metzger oder ein Anstreicher oder ein Mörder oder ein Philosph ist, der hinter dem Steuer sitzt. Ich denke, dass diese Arbeit alles Versteckte, was gesagt werden sollte, zum Vorschein bringt.

Deutsch: Heiner Koop

 

 

JELENA TOMAŠEVIĆ

 

Interview with Petar Ćuković

P.C.: We can say that lately you have been using photography as the basis for most of your works. What is your interest in this medium? What does photography make possible in your work? Also, despite the fact that every photograph has its own “aesthetics”, it seems that this aesthetic is not crucial to the “bottom-line” that you try to develop in your work?

J.T.: I have no interest in rules of photography or “aesthetics” or, eventually, the artistic value of the photo itself. What I am interested in is the authentic photo-evidence found in photographs taken at crime scenes and used in a courtroom to facilitate reconstruction of a crime. What I investigate is the logic of the material. This is about reducing photography to “WHAT MATTERS”. To be honest, I am always surprised when someone refers to: “those photos of yours,” because I call them “ART WORKS”.

P.C.: In other works of yours the medium of photography has been used for previously conceptualized, minutely thought-out pieces. But wasn’t the work that was selected for the exhibition in Kassel created as a kind of immediate--we could even say--profoundly existential experience, as something that emerged in an unrepeatable, unique moment that was hic et nunc “found”, discovered and recognized as an extremely important and meaningful experience?

J.T.: What assures us that the world exists is its characterization of the occasional, criminal and imperfect. These photos are not what they seem to be. The actual situation with red-colored hands lasted only for the time it took to put them on the negative. The scene in the photo in effect distracts us from the factual and so hides what the scene is like in reality. We (who know how they have been created) are balancing between ILLUSION and TRUTH. The photos claim to be something that they are actually not. This is a sly representation of something that, in truth, it is not. We cannot prove that it is not what it is thought to be. What is the way out of that situation? If the world has no reference or final purpose, then why do we expect thought to have them?

P.C.: Who is the driver of the automobile? Who, at the speed of 40 kilometers an hour, i.e., a speed that makes it possible to concentrate and contemplate, arrives at the idea of recording a visually puzzling moment: a murderer? A painter? A housepainter? A butcher? A philosopher?

J.T.: I don’t think that these photos (works) should be viewed from a fixed perspective; if I perceived them in a framework of rigid definition, that would mean that I limited myself and imposed on others what they should think about those photos. This is not something that interests me. I think that the meaning of a work of art lies in the effort that has to be made to produce it (that effort is a state, an activity, an interaction with the world), not in its intention. However, some people believe that intention is everything. They build a context and explain their objectives, and then the context is supposed to verify those objectives. These kinds of intentions have the effect that the “work” becomes closed to the experience of others. I could name all of the states that I went through while creating this work, and I could explain the speed of 40 kilometers an hour, but it’s so boring. To quote Heidegger: “It is not capable of releasing anything else from itself because it contains nothing but what it is comprised in.”

Certainly the sense of this work is OPENING OF SPACE FOR DOUBT. So, I could say that it is a painter and a butcher and a housepainter and a murderer and a philosopher holding the wheel. I think that this work resolves everything hidden that is meant to be said.