Richard Hamilton
4 Räume
16. Dezember 2000 bis 4. März 2001
Eröffnung am Freitag, den 15. Dezember 2000 um 21 Uhr.



Richard Hamilton (geb. 1922), eine Schlüsselfigur der britischen Kunst des 20. Jahrhunderts, gilt als einer der Mitbegründer der Pop Art. Allerdings weist sein Schaffen eine große Bandbreite von Themen auf wie etwa lyrische Landschaftsmalerei oder Untersuchungen zu Perspektive und Architektur. Seit den 60er Jahren zieht sich die Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Problemen wie ein roter Faden durch sein Werk. So finden sich Arbeiten zur nuklearen Abrüstung, zum Nordirland-Konflikt, zum nationalen Gesundheitssystem und den Erfahrungen mit dem Wohlfahrtsstaat, sowie zur Bildsprache des Kino, zur Mode und zum modernen Design. Ob mit seinen ersten Collagen oder in der Verwendung der Computertechnik, stets begeisterte sich Hamilton für "Verzerrungen„ der Bildtradition. Ein zentrales Thema der Kunst von Hamilton ist seit Mitte der 50er Jahre die Beschäftigung mit dem Sujet des Interieur. Sie beginnt mit der Konzeption von Ausstellungsarchitekturen: zwischen 1951 und 1958 hat er insgesamt fünf Ausstellungen in Teilen oder komplett konzipiert, so etwa 1956 die Ausstellung This is Tomorrow, die die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Künstlergruppen und die Zusammenführung verschiedener Künste zum Thema hatte und in deren Zusammenhang, als Katalogbeitrag und Entwurf zum Ausstellungsplakat, Hamiltons wohl berühmteste Collage: Just what is it that makes today´s homes so different, so appealing? (1956) entstand. Diese Collage bildet den Auftakt zu Hamiltons weiterer Auseinandersetzung mit der Ambiguität von innerem und äußerem Raum. Ein Schlüsselwerk ist die Arbeit Langan´s (1976). Peter Langan plante die Restaurierung und Eröffnung einer Brasserie und bat befreundete Künstler um Arbeiten, wobei jeder Künstler eine Wand gestalten sollte. Hamilton fotografierte die ihm zugedachte Wand und bat darum, sie genau so zu belassen, wie sie war. Das aufgenommene Bild übertrug er in Vergrößerung auf eine fotochemisch behandelte Leinwand. Nach Abschluß der Renovierungsarbeiten machte er erneut eine Aufnahme des nun mit gedeckten Tischen ausgestatteten Raumes, diesmal in Farbe und aus exakt der gleichen Position wie beim ersten Mal. Dann malte Hamilton einen gedeckten Tisch in die schwarz-weiße Leinwand und plazierte das Bild an der Wand des Restaurants, die in ihm auftaucht. Der Betrachter wird mit genau der perspektivischen Beziehung zum Raum konfrontiert, in der er sich selbst befindet. Bilder von Räumen, die Bilder von Räumen beinhalten, faszinieren Hamilton weil sie "die Möglichkeit von Sub-Begegnungen [anbieten], zweidimensionale Simulationen von Interieurs innerhalb der dreidimensionalen Hülle eines tatsächlichen Interieurs„. Während Hamilton bei dieser Arbeit vom vorhandenen Raum ausgegangen war, nahm er für The Citizen (1982-83) einen anderen Weg. Hier entstand zunächst ein Gemälde (nach einer Vorstudie), das auf Bilder zurückgeht, die der Künstler im britischen Fernsehen gesehen hatte. IRA-Häftlinge im Hochsicherheitsgefängnis in Long Kesh verlangten als politische Gefangene anerkannt zu werden und forderten bessere Haftbedingungen. Da die Filmaufnahmen keine Gesamtansicht der Zelle zeigten setzte der Künstler in Vorstudien die Figur aus mehreren Teilen zusammen. Zunächst stellte er drei vergrößerte Cibachrome-Drucke von Filmstills her und übertrug diese auf eine Leinwand. Zwei davon bildeten Ober- und Unterteil der Figur, das dritte wurde daneben montiert. Aus diesen Vorstudien entstand dann das eigentliche Bild als Diptychon in Öl auf Leinwand. Für eine Ausstellung in der Fruitmarket Gallery in Edinburgh (1988) entschloß sich Hamilton, das zweiteilige Bild innerhalb einer "Zelle„ zu präsentieren. In Anlehnung an die Aufnahmen des BBC wurden die Wände des Raumes so hergerichtet wie in Long Kesh und in einer Ecke eine Schaumstoffmatratze und ein schmutziges Kissen installiert. Nur ein knappes Jahr nach The Citizen konzipierte Hamilton die Rauminstallation Treatment Room (1983-84). Der Künstler war eingeladen, sich an einer Ausstellung mit dem Titel Four Rooms zu beteiligen. Hier bot sich die Möglichkeit, einen weiteren Aspekt des Interieurs zu untersuchen, nämlich den öffentlichen Raum: "... ein Raum, ... inspiriert vom trostlosen, desinteressierten, klinischen Stil der öffentlichen Institutionen ... ein Raum so unpersönlich (jedoch aufgeladen) oder so neutral (jedoch beunruhigend) wie das Wartezimmer eines Zahnarztes, eine Gefängniszelle, ein Arbeitsamt oder jeder Raum eines Krankenhauses„, wie Hamilton sagt. Ausgangspunkt für die Konzeption von Treatment Room waren die eigenen Erfahrungen des Künstlers mit Krankenhäusern, wo ihn insbesondere die Röntgenräume beeindruckt hatten: hier war die Überwachung so perfekt, daß es nichts mehr zu verbergen gab, nicht einmal das eigene Innere. Um das Gefühl der peinlich genauen Prüfung noch zu verstärken, installierte Hamilton (in einem 275 x 550 x 550 m großen Raum) neben architektonischen Elementen einen Tisch, der aus der Leichenhalle zu stammen scheint. Darüber hing ein Monitor auf dem ein Video von Margareth Thatcher abgespielt wurde, die nach dem Wahlsieg der Konservativen im Jahr 1983 finanzielle Kürzungen im Bereich des öffentlichen Gesundheitssystems bekannt gibt. Viele von Richard Hamiltons Arbeiten gehen auf vorgefundenes Material, wie Fotografien, Abbildungen aus Zeitschriften oder Postkarten zurück. So auch Lobby (1985-87), deren Vorlage eine Postkarte war, auf der die Eingangshalle des Hotel Europa in Berlin abgebildet ist. 1973 entstand nach dem Postkartenmotiv eine Bleistiftzeichnung, die nachträglich aquarelliert wurde. Ein Jahr später fügte der Künstler ein junges Paar in die Zeichnung ein, das ebenfalls von einer Postkarte stammte. Erst zehn Jahre später nutzte Hamilton dieses Aquarell als Vorlage für einen Siebdruck und noch einmal ein Jahr später entstand das Gemälde Lobby (Öl auf Leinwand). Hamilton arbeitete zwei Jahre an diesem Bild und zeigte es 1988 in der Fruitmarket Gallery in London in einer speziellen Rauminstallation: Teile der Architektur, wie die Spiegelsäule und die Treppe wurden hier wieder in realita nachgebildet und auch der Teppich fand sich wieder. An der Wand gegenüber des Eingangs hing das Gemälde. Rechts vom Eingang waren das Aquarell und der Siebdruck plaziert, so daß sich die im Gemälde reflektierten Bilder als Reflektionen in der Spiegelsäule des tatsächlichen Raumes wiederholten. Der Betrachter wurde so in die Lage versetzt, eine zweidimensionale Repräsentation des Raumes zu sehen, in dem er sich gerade aufhält. Für Hamilton bietet das Genre des Interieur eine Möglichkeit, "Bewegung im Raum darzustellen, mittels einer Malweise, die von einer bestimmten Perspektive in eine andere Dimension wechselt„ und so eine Welt zu zeigen, "die den Betrachter von seiner monokausal einäugigen Sicht der Dinge suspendiert„. 1997 erhielt Richard Hamilton den Arnold Bode-Preis der Stadt Kassel. Die mit diesem Preis verbundene Ausstellung wird nun anläßlich des 100. Geburtstages von Arnold Bode in der Kunsthalle gezeigt. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.