PRO LIDICE
52 deutsche Künstler spenden 1967 und 1997
für das Museum des tschechischen Dorfes Lidice
23.1. - 5.4.1999



Joseph Beuys
Pro Lidice, 1962

Martin Honert
Messdiener, 1989

Gerhard Richter
Onkel Rudi, 1965


Kein Denkmal - sondern Denkanstösse

Im Jahre 1967 organisierte ein junger Berliner Galerist die Ausstellung „Hommage à Lidice", die als Geschenk für das in Planung befindliche Museum Lidice bestimmt war. 21 Künstler beteiligten sich an der Aktion. Neben Joseph Beuys, Dieter Roth, Wolf Vostell, Günther Uecker oder Gotthard Graubner waren dies u.a. die damals noch jungen, kaum beachteten Maler Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter, KP Brehmer, KH Hödicke und Jörg Immendorff. Die Kunstwerke, im Juli 1968 nach Prag transportiert und dort ausgestellt, galten - bedingt durch das Chaos nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im Sommer 1968 - lange Zeit als verschollen.

Der Wunsch des Tschechischen Museums der schönen Künste, die Werke nach ihrer Wiederentdeckung im Frühjahr 1997 in Prag zu zeigen, veranlaßten René Block, das Geschenk nach nunmehr 30 Jahren zu aktualisieren. Es entstand als Folgeprojekt „Für Lidice", bei dem 31 Künstler, darunter die 10 Künstlerinnen Dagmar Demming, Maria Eichhorn, Katharina Fritsch, Asta Gröting, Astrid Klein, Inge Mahn, Karin Sander, Katharina Sieverding, Pia Stadtbäumer und Rosemarie Trockel als Vertreter der heutigen „jungen" Kunstszene Deutschlands mit repräsentativen Werken vertreten sind. Einige der Arbeiten nehmen direkt auf Lidice Bezug.

Lidice war 1942 nach der Ermordung des von Hitler für Böhmen eingesetzten Protektors Heydrich als Vergeltung von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht worden. Die männlichen Einwohner über 16 Jahre wurden am Ort erschossen, die Frauen in Konzentrationslager gebracht, die Kinder „sonderbehandelt". Lidice, das nie Ort des Widerstandes war, wurde weltweit Symbol für Widerstand

Die Ausstellung der beiden Sammelblöcke von 1967 und 1997 wurde vom Prager Museumsdirektor Jan Sekera als ein „hoffentlich weithin sichtbares Zeichen der Versöhnung" und als ein wichtiger Beitrag der Künstler zur deutsch/tschechischen Erklärung gesehen; aber gleichzeitig auch als ein „willkommener Anstoß", den wegen fehlender Gelder für unbestimmte Zeit unterbrochenen Bau des Museums für Lidice fertigzustellen.

Im Museum Fridericianum wird die Ausstellung am 23. Januar 1999 durch den Hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel eröffnet. Sie ist bis zum 5.4.1999 zu sehen und wird durch Informationsmaterial über die Ereignisse von 1942 ergänzt.

Ein Katalog zur Ausstellung liegt vor.
 

Kein Denkmal, sondern Denkanstöße

Als die wenigen Frauen, die grauenhaften Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern überlebt hatten, nach ihrer Befreiung zurückkamen in ihre böhmische Heimat voller Freude, ihre Männer, Kinder und Häuser wiederzusehen, da fanden sie ihr Dorf nicht mehr. Dort, wo es einst stand, waren große Felder, auf denen junger Weizen wuchs. Und wie sie auch suchten, sie fanden die Kinder nicht. Und wie sie auch warteten, die Männer kamen nicht zurück. Nur der Weizen wuchs und reifte. Und wie sie über die Felder schauten, da fiel ihnen auf, daß der Weizen an einer Stelle höher und wilder wuchs und auch eine andere Farbe hatte. Sie deuteten dies als ein Zeichen und begannen, den wilden Weizen auszugraben. So fanden die Frauen in einer Grube, die zwölf Meter lang und zehn Meter breit war, die Gebeine der 172 Männer, die das Dorf nie verlassen hatten.
Was hier wie eine zeitlose Legende klingt, eine Geschichte, die sich in vielen Kriegen der Vergangenheit abgespielt haben könnte, wird durch ein einziges Wort zeitnah: Konzentrationslager. Und wenn der Name des vernichteten Dorfes, das Lidice hieß, genannt wird, wurden die Realität und die Grausamkeit auch dieses Naziverbrechens deutlich. Und seine Unsinnigkeit. Was dieses Verbrechen so besonders abscheulich machte, war seine Sinnlosigkeit, getrieben aus dem Wahn zu glauben, Macht über Leben und Tod anderer Menschen zu haben und diese Macht demonstrieren zu müssen. Wie im Fall Lidice, als es darum ging, die Ermordung des von Hitler für Böhmen eingesetzten „Reichsprotektors" Reinhard Heydrich zu rächen. Wie sagte Thomas Mann in seiner Rundfunkansprache „Deutsche Hörer", die im Juni 1942 von der BBC nach Deutschland ausgestrahlt worden war:
„Seit dem gewaltsamen Tod des Heydrich, dem natürlichsten Tod also, den ein Bluthund wie er sterben kann, wütet überall der Terror krankfhaft hemmungsloser als je ... Der gramgebeugte Führer, der einen männlich geliebten Mordgesellen verlor, gibt seine in schlummerlosen Nächten ersonnenen Weisungen. Ein Metzeln und Abschießen geht an, ein Wüten gegen Wehrlosigkeit und Unschuld, so recht nach Nazilust. Tausend müssen sterben, Männer und Frauen. Eine ganze Ortschaft, die die Täter beherbergt haben soll, Lidice, wird ausgemordet und dem Erdboden gleich gemacht. Zu Hause wird ihm ein pomphaftes Staatsbegräbnis verordnet, und ein anderer Metzgergeselle sagt ihm am Grabe nach, er sei eine reine Seele und ein Mensch von hohem Humanitätsgefühl gewesen. Das alles ist verrückt ... Der Verrücktheit ist die Macht alles, sie braucht sie unbedingt, um sich auszuleben ..." Lidice, das nie ein aktiver Ort des Widerstandes war, wurde nach seiner Zerstörung zum weltweiten Symbol für Widerstand. Spontan benannten sich Dörfer in Mexiko, Brasilien, Panama, Peru und den USA aus Solidarität in Lidice um.
In der englischen Stadt Coventry, die 1940 bei einem deutschen Bombenangriff stark zerstört worden war, wurde noch im Jahr 1942 ein „Lidice-shall-live"-Komitee gegründet, dessen Initiator der Unterhaus-Abgeordnete Barnett Stross war. Zwei Aufrufe gehen auf dieses zunächst englische, später internationale „Lidice"-Komitee zurück: für die Anlage eines Rosengartens mit heute 27.000 Rosenstöcken aus aller Welt und für die Errichtung eines Museums mit Kunstwerken aus allen Teilen der Welt. Der zweite Aufruf wurde 1967 verbreitet, von vielen Künstlern gehört und befolgt. Hunderte von Kunstwerken, die damals gespendet wurden, stehen heute im Depot des Schlößchen Nelahozeves und warten auf die Fertigstellung des Museums von Lidice. Mit diesem Aufruf an die Künstler beginnt unsere Geschichte.
Rückblende: West-Berlin 1967. Eine Stadt zwischen den Fronten des „Kalten Krieges". Eine neue Generation, während des Krieges und nach 1945 geboren, ist herangewachsen und opponiert. Gegen die Väter und Großväter, die ihre Vergangenheit nicht bewältigen könnten, sondern verdrängt haben, gegen die Ost/West-Schwarz/Weiß-Malerei in Politik und Medien, gegen die Ausbreitung eines multinationalen „kapitalistischen Imperialismus" in Ländern der „Dritten Welt", gegen den Schah von Persien und für Fidel Castro, gegen Südvietnam, aber für Mao. Studentenunruhen brechen aus. Ein neues politisches Bewußtsein ensteht und manifestiert sich in einer außerparlamentarischen Opposition (APO).
Auch die Künstler suchen nach neuen Wegen, sich zu artikulieren. Gibt es anfänglich noch Sympathien füreinander, wird sehr schnell deutlich, daß die politische „Avantgarde" keine künstlerische neben sich duldet. Man braucht Kunst, die sich unterordnet und illustriert, oder Polit-Happenings, die bei den vielen „Sit-ins" die Massen unterhalten. Alle andere Kunst ist bürgerlich. Privater Kunstbesitz wird als elitär abqualifiziert. Während in Köln 1967 der erste Kunstmarkt erfolgreich durchgeführt wird, setzt sich in der neuen Berliner Gesellschaft eine Kunstbesitz negierende Tendenz durch. Es waren aber die Künstler, die schon lange zuvor über Demokratisierung des Kunstmarktes nachgedacht hatten, und - unter anderem - die Multiples erfanden - industriell hergestellte Kunstwerke in großer Auflage, die preiswert angeboten werden konnten. Aber dies wäre eine andere Geschichte.
1967 war eine politisch sensibilisierte Zeit, in die dieser Aufruf vom - inzwischen geadelten - Sir Barnett Stross fiel. Er mußte nur weitergeleitet und konkretisiert werden. Das für einen Galeristen mögliche Mittel der Umsetzung war eine Ausstellung und eine en bloc-Übergabe der für Lidice gestifteten Kunstwerke. Da der Ausstellungsraum der Galerie in der Schaperstraße sehr klein war, hatte ich um kleine Arbeiten gebeten. Außerdem mußten sie alle in einen VW-Bus passen, um nach Prag transportiert werden zu können. 21 Künstler wurden vor mir angesprochen, und 21 Kunstwerke erhielt ich. Freunde der Galerie, Kunstsammler sowie Ausstellungsmacher wurden eingeladen, durch eine Geldspende die Herausgabe eines Ausstellungskatalogs zu ermöglichen. Wenn auch die meisten der Angesprochenen positiv reagierten und sich mit einem kleinen Geldbetrag (erbeten waren 50 bis 100 DM) beteiligten, so fühlten sich einige rheinische Sammler dermaßen - ob der vermeintlichen Wühlarbeit im „Dreck" der Vergangenheit - brüskiert, daß sie die Galerie anschließend ignorierten. Und das war gut so. Überhaupt saß man mit einer solchen Ausstellung einigermaßen „zwischen den Stühlen". Konservatives, in der Regel finanzstärkendes Kunstpublikum hielt die Galerie für eine rote Zelle, weil deren Künstler mit den politischen Zielen der Studenten offen sympathisierten (in der Tat war Ulrike Meinhof häufige Ausstellungsbesucherin).
Die sich etablierende „linke Szene" hingegen hielt gerade diese Galerie für ein elitäres bürgerliches Unternehmen, deren Künstler das herrschende System stützten. (Diese Meinung eskalierte in der gewaltsamen Verhinderung eines Beuys/Christiansen-Fluxuskonzertes am 27. Februar 1969 in der West-Berliner Akademie der Künste, bei dem es einen hohen Sachschaden und Verletzte gab.)
Entsprechend war die Reaktion auf die Ausstellung „Hommage à Lidice", als sie im Oktober 1967 in Berlin stattfand. Lob von der bürgerlichen Presse („Der Tagesspiegel"1) mit Einschränkung hinsichtlich der ausgestellten Künstler und Werke („Die Welt"2) bis hin zu gewisser Häme und Lächerlichmachen der Werke von seiten linkslastiger Kritiker3. Ähnlich „zwischen den Stühlen" saß in Prag der Kunsthistoriker Jindrich Chalupecky, der diese Ausstellung unbedingt in seiner Spála-Galerie zeigen wollte. Unterstützt von seinem progressiven Galerie-Beirat, aber abgelehnt vom Vorstand des Zentralen Künstlerverbandes. Bis dann die Kulturfunktionäre doch zähneknirschend die Ausstellung duldeten, nachdem im Schaufenster der Spála-Galerie Listen mit Unterschriften protestierender Künstler auslagen.
Am 3. Juli 1968 wurde die Ausstellung in Prag eröffnet und von den Besuchern, darunter auch einer Delegation der überlebenden Frauen von Lidice, positiv angenommen. Sie war nur kurze Zeit zu sehen. Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes erzwang die vorzeitige Schließung. Es gelang Chalupecky noch, die Kunstwerke in Sicherheit zu bringen - aber die Verbindung nach Prag riß ab, und die Arbeiten galten lange Zeit als verschollen. Im Juni 1996, nach dreißig Jahren, wurden sie vollzählig und in bemerkenswert gutem Zustand in dem Schlößchen Nelahozeves, dem Geburtsort von Antonin Dvorak, wiedergefunden. Ergänzt um weitere 31 Schenkungen von Künstlern, wurden sie im März 1997 wieder in Prag ausgestellt. Diesmal im Museum „Haus der schwarzen Mutter Gottes" und begleitet von einem umfangreichen und informativen Katalog.
Es wird jetzt daran zu arbeiten sein, das begonnene Museum in Lidice fertigzustellen. Denn dieses Museum war den Künstlern 1967 versprochen worden, und es ist Voraussetzung dafür, weitere Künstler - und dies weltweit - einzuladen, sich dieser noch bescheidenen Geste anzuschließen.
In seinem Grußwort zum Lidice-Katalog von 1967 bewundert Herbert von Buttlar den Mut, eine solche Ausstellung zu organisieren. Mut gehört nicht dazu, allerdings sind eine gewisse Sensibilität für den Anlaß und ein gewisses Gespür für eine angemessene Behandlung des Themas Voraussetzung.
Dieser vorausgesetzten Sensibilität, auch gegenüber Kunstwerken, widerspricht hingegen der aus heutiger Sicht unvorstellbare Vorgang, diese 21 Kunstwerke unverpackt in einen alten VW-Bus zu quetschen und ohne Zollpapiere nach Prag zu bringen: wie in einem trojanischen Pferd hinter den „Eisernen Vorhang".
Joseph Beuys hat diese Aktion später künstlerisch legitimiert: In seiner Arbeit „The Pack / Das Rudel" (1969) läßt er aus genau diesem VW-Bus 32 Schlitten wie Spürhunden ausbrechen.

René Block