ALBANIEN

  

Edi Hila

Adrian Paci

Anri Sala

Gentian Shkurti

 

English version 

 

DER A-FAKTOR oder: Die neuen Proleten der Kunstszene

Lieber Herr Muka,

wir würden gerne mit Ihnen zusammen eine Ausstellung mit albanischen Künstlern in unserer Galerie organisieren...“

Nach dem ersten und bisher einzigen albanischen Pavillon in Venedig im Jahr 1999 hatte ich häufig solche Botschaften in meiner E-Mailbox. Natürlich war es für mich ein großes Vergnügen und eine Ehre, dass man mich darum bat, als Kurator bei diesen Ausstellungen zu fungieren, besonders wenn diese Anfragen sich auf eine besondere Gruppe Künstler bezog, die ich ziemlich gut kenne. Daher folgten viele weitere Ausstellungen in unterschiedlichen Städten, Institutionen, privaten Galerien, Gruppenausstellungen, Einzelausstellungen etc. Ähnliche Anfragen erreichen auch jetzt noch meine E-Mailbox, während so viele Dinge um uns herum passieren: große regionale Ausstellungen werden organisiert; man kann beobachten, dass sich Kuratoren in Gebiete aufmachen, deren Existenz sie sich zuvor gar nicht bewusst waren; oder man sieht Künstler, die auf der Jagd nach Kuratoren sind; Kriege eskalieren und enden oder werden zu Guerillakriegen; die Welt ist im Aufruhr und so weiter und so fort.

Abgesehen von den oben erwähnten Ausstellungen habe ich an zahlreichen Pressekonferenzen, Seminaren und Gesprächsrunden teilgenommen, bei denen eine der Fragen, die mir am häufigsten gestellt wurden, folgende war: „Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an den Arbeiten albanischer Künstler, oder wie kommt es sonst zu diesem plötzlichen Interesse an der albanischen Kunst?“

Da ich bekanntermaßen oft mit der erfolgreichen albanischen Künstlergeneration der späten 90er Jahre zusammen gearbeitet habe und mir diese Frage sehr oft gestellt wurde, versuchte ich, mir einstudierte Antworten zurecht zu legen – dabei achtete ich immer darauf, zumindest die Reihenfolge der von mir benutzten Wörter zu verändern, um nicht den Eindruck zu erwecken, mich ständig zu wiederholen (damit habe ich ein Problem, auch wenn ich weiß, dass ich immer wieder auf ein neues Publikum treffe, das meine Thesen noch gar nicht kennt. Ich bekomme immer das Gefühl, dass sie wissen, was ich alles schon gesagt habe, also sollte ich mir etwas Anderes, wenn nicht sogar Neues ausdenken).

Aus diesem Grund hatte ich eine ganze Zeit lang die Idee vom „ironischen Optimismus“ entwickelt, der in die moderne Kunst und die Kunstpraxis Einzug hielt. Den Kontext bildete die gesellschaftlich-politische Instabilität in Albanien, einem Land, das gekennzeichnet war von einer unaufhörlichen Migrationsbewegung und einer Faszination für den Mythos, der vom Westen ausging (etwas, das nur für eine gewissen Zeitraum der Fall war). In diesem Kontext versuchte ich zu erklären, dass die Strategien, welche die albanischen Künstler benutzten, eher auf deren Heterogenität und Individualität als auf der Vorstellung von einer Gruppenzugehörigkeit basierten. Sie versuchten, einen Akt auf einem Drahtseil zu vollführen, das gespannt war zwischen den beiden Polen Brutalität und Komödie, und benutzten Ironie als Waffe, um ihrer Position im Angesicht der Geschichte ins Auge zu sehen. Ich glaube allerdings, dass dies wichtige Ausdrucksmittel für die ganze Balkan-Region und deren Kunstszene war, und nicht nur für die albanische Kunst und die albanischen Künstler.

Über diese Themen habe ich viel geschrieben, nicht zuletzt, weil sie die ersten Schritte für die heutzutage arrivierte Generation albanischer Künstler – wie Anri Sala, Sislej Xhafa, Adrian Paci, Erzen Shkololli etc. – darstellten und charakteristisch waren für deren frühe Werke. Das wiederholte Interesse daran, diese Gruppenausstellungen mit albanischen Künstlern zu organisieren – zusammen mit der wiederholten Ausarbeitung der Themen, über die ich bereits in den Texten, die einen Bezug zu ihnen hatten, gesprochen hatte – machte mich der ganzen Sache nach und nach überdrüssig, auch weil sich die Werke dieser Künstlergeneration schon längst wieder verändert hatten. Sie hatten sich vom anfänglichen Kontext weg bewegt, sie wurden größer und weitreichender, während sich die Nachfrage diesen Veränderungen noch nicht angepasst hatte.

Nun, die Zeiten haben sich seitdem verändert. Albanien hat den Mythos etwas satt (obwohl er den Traum vom Entkommen immer noch nährt, das aber vor allem, weil es nach wie vor nicht möglich ist, frei reisen zu können). Es ist nicht länger ein Land, das vom Mythos des Westens fasziniert ist, noch hat es den gleichen exotischen Charme wie noch vor einigen Jahren. Und doch existiert es auch weiterhin eine Nachfrage nach seiner Kunst und seinen Künstlern, sogar mehr denn je. Der ganze Balkan scheint zur Zeit im Mittelpunkt des Trends zu stehen, und schon wieder kann man beobachten, dass Kuratoren im Anmarsch sind, dass Künstler Kuratoren nachjagen und so weiter und so fort.

Wie kommt das? Was macht die albanische Kunst und die Kunst vom Balkan so interessant, obwohl es von beiden schon eine Menge gibt? Wenn man mir diese Frage im Augenblick in der Öffentlichkeit stellen würde, würde ich schweigen und versuchen, meine früheren Antworten und Thesen nicht noch einmal vorzutragen. Ich würde vielmehr erwidern: „Ich weiß es nicht. Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie so interessant daran finden, dann kann ich Ihrem Eindruck vielleicht etwas aus meinem Erfahrungsschatz hinzufügen?“

Offensichtlich gibt es da etwas, das mich dazu gebracht hat, zu überlegen und nachzuforschen, ob die erste erfolgreiche albanische Künstlergeneration Fortbestand hat oder nicht. Auf der einen Seite war ich beunruhigt über die Möglichkeit, dass dieser neue „regionale“ Rahmen der Kunst vom Balkan, zu der die albanische Kunst gehört, eine Art kulturelles Ghetto oder sogar einen Zoo erzeugen könnte. Dies ließ mich an eine Frage eines deutschen Journalisten denken, der mich, als ich als Kurator für die Ausstellung „Schöne Fremde“ in Berlin arbeitete, ganz offen fragte: „.... Also, wie sehen Albaner eigentlich aus?“. Ich hatte das Gefühl, ich wäre auch deswegen da, um zu zeigen, dass sie „Haare haben, auf zwei Beinen gehen etc.“. Genau das zu sagen, ist auch sinnvoll.

Wie auch immer, als ich selbst ganz tief in mich ging (schließlich bin ich auch einer der Kuratoren, die mit diesen „nationalen“ Präsentationen gearbeitet haben und auch immer noch mit ihnen arbeiten), hatte ich das Gefühl, dass es mehr als nur der „Zoo-Effekt“ ist, der unsere Aufmerksamkeit auf die Lage der Kunst in Albanien und im Balkan lenkt. Was uns, die Kunst-Fachleute ohne Grenzen (wenn es so etwas überhaupt gibt), meiner Meinung nach reizt, ist, dass wir in ihnen so etwas wie die Neuen Proletarier der Kunstwelt sehen, die nichts zu verlieren haben und noch nicht von irgendetwas abhängig sind, was zur großen Maschinerie des Systems gehört. Was uns an den Werken dieser Künstler begeistert, ist nicht nur ihre Sensibilität und die Art und Weise, wie sie ihre Lebenserfahrungen in ihre Arbeit einfließen lassen (das tun nämlich alle Künstler), sondern vor allem ihre Energie, ihre Einstellung gegenüber dem Unmöglichen, ihr Glaube an das, was sie tun, und das Vertrauen darin, dass sie es irgendwann schaffen werden. Meine Freunde aus dem Kosovo haben mir erzählt, dass René Block sie in einem Interview, das er dort einer Zeitschrift gegeben hat, „die Neue Avantgarde des Balkan“ genannt hat. Ich glaube, es trifft eher zu, wenn man sie „die Neuen Proletarier der Kunstwelt“ nennt. Ich wünsche mir sehr, dass sie dies so lange wie möglich bleiben werden.

Edi Muka

Deutsch: Uli Nickel

 

 

ALBANIA

 

THE A-FACTOR or The New Prolets of the Art-World

Dear Mr. Muka,

We would very much like to work with you in organizing a show with Albanian artists at our gallery…”

After the first and the only Albanian Pavillion in Venice in 1999, messages of this kind were frequent in my e-mail box. Of course it has been a great pleasure and honor for me to be asked to curate those shows, particularly as these requests were specifically focused on a certain group of artists whom I know very well. Thus, many exhibitions followed, in many places, institutions, private galleries, group shows, solo shows, etc. There are still similar requests like these coming to my e-mail box, while many things happen all around us: big regional shows are organized; you see curators on the move in territories completely unknown to exist before; or you see artists on the hunt for curators; wars that explode and end, or turn into guerrilla warfare; the world in turmoil and so on and so forth.

Besides the above mentioned shows, I have attended many press conferences, seminars and talks, where one of the most frequent questions addressed to me was: “What do you see as specific to what the Albanian artists are doing, or how come this sudden interest in Albanian art?”

Being known for working with the successful generation of Albanian artists of the late 90ies, and being asked this question very frequently, I tried to come up with studied replies, always careful to at least change the order of the words I used, so as not to seem to be repeating myself over and over again, (I have a problem with that; even if I know that the audience is completely new and hasn’t heard my theses before, I always get the feeling they know what I´ve said before, so I should come up with something different if not new.)

Therefore, for quite some time now, I have spread the idea of the “ironic optimism” permeating the Albanian contemporary art and practice, contextualized in the socio-political instability of Albania as a land of constant migration and transition towards the Western myth (something which was true for a certain time/space length). In this context I tried to explain the strategies the Albanian artists were using as based on their heterogeneity and individuality, rather than on the idea of a group; trying to walk a tight rope stretched between brutality and comedy, and using irony as their weapon in the face of history. However, I believe these were matters of concern and expression for the entire Balkan region and its art as well, not only for Albanian art and artists.

Many times I wrote on these issues, also because they constituted the initial steps and characterized the early works by today´s acknowledged generation of Albanian artists, such as Anri Sala, Sislej Xhafa, Adrian Paci, Erzen Shkololli, etc. The repetitive interest in organizing these group shows with Albanian artists, together with the constant elaboration on the issues I had been talking about in the texts related to them caused me to grow weary, also because the work of this generation of artists had already changed, moved away from its initial context, becoming larger and wider in its reach, while the request hadn’t matched these changes yet.

Well, times have changed since then. Albania is a bit fed up with the myth (although it still nourishes the dream of escape, but mostly because of the general impossibility to travel freely). It is not any longer (at least not for the moment) a land of transition towards the Western myth, neither does it have its exotic charm of some years ago. And yet the request for its art and artists is still there, even bigger maybe. The whole Balkan seems to be the flavor of the day at the moment, and yet again you see curators on the move and artists hunting for curators and so on and so forth.

How come? What makes Albanian and Balkan art so interesting, although there´s already a lot of it around? If I was asked this question in public at this moment, I would remain silent and maybe not try to restage my former answers and issues. I would rather reply: “I don´t know, why don´t you tell me what you find interesting, and I might add to your impression something from my experience?”

Obviously there is something here that sent me off to think about and also to research whether this first successful generation of Albanian artists has a continuation or not. On the one hand, I was concerned with the possibility that maybe this new “regional” frame of Balkan art, Albanian art included, could turn into some kind of cultural ghetto, or even a zoo. This brought to my mind a question I was asked by a German journalist when I curated the “Beautiful Strangers” show in Berlin: he had frankly asked me: “…so what do Albanians look like?” which made me feel like I was there to show that they had “hair, walked on two legs, etc.” which is also useful to say.

However, going deep down into myself (I am also one of the curators who has worked and still works with these “national” presentations), I had a feeling that there´s something more besides the “zoo – effect” that attracting our attention to the artistic situation in Albania and in the Balkans. What I believe attracts us, the Borderless Art Practitioners (if such a thing exists), is that in them we see some kind of New Proletarians of the Art World, who´ve got nothing to loose and are not bound yet by anything belonging to the big chain of the system. What excites us when looking at these artists´ work is not only their sensitivity and the way they transcribe their life experience into art (that´s what all artists do), but especially their energy, their approach towards the impossible, their faith in what they do and the belief that they´re going to make it some day. My friends in Kosova told me that in an interview given to a newspaper there, René Block called them “the New Avantgarde of the Balkans”. I do believe that it´s more suitable to call them “the New Prolets of the Art World”. I seriously wish they remain like that for as long as possible.

Edi Muka