Kosovo

 

Sokol Beqiri

Jakup Ferri

Driton Hajredini

lbert Heta

Merita Koci

Dren Maliqi

Erzen Shkololli

 

English version

 

Das dem Untergang geweihte Land der Krähen

 Vor etwa 20 Jahren hatte ich einen Freund, einen im Kosovo arbeitenden jugoslawischen Theaterintendanten, der die Angewohnheit hatte, die Geschichte etwas übertrieben darzustellen. Bei einer unserer Diskussionen erzählte er mir, dass das „Kosovo ein dem Untergang geweihter und gefährlicher Ort ist, schon allein deswegen, weil dort im Mittelalter zwei Herrscher ermordet worden sind.“ Tatsächlich wurden im Jahre 1389 während der Schlacht zwischen den vereinigten Streitkräften des Balkan und der türkischen Besatzungsmacht sowohl Sultan Murat als auch Zar Lazar zur letzten Ruhe gebettet. Mein Freund machte diese Bemerkung, während wir eine orthodoxe Kirche mit berühmten Fresken besuchten. Von der Wirkung der Kunstwerke beeindruckt, kam dem Intendanten ein weiterer skeptischer und makaberer Gedanke in den Sinn: „Leider muss ich Dir sagen, dass dieses wunderschöne Kunstwerk eine mörderische Wirkung hat! Orthodoxe Fundamentalisten benutzen diese Kirchen als Argument dafür, dass das Kosovo zu Serbien gehört. Wohingegen ihr Albaner, obwohl ihr die Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo ausmacht, als Unglück angesehen werdet.“ Er hatte noch etwas hinzuzufügen, als wir auf dem Rückweg vom Kloster einen großen Schwarm Krähen sahen, die über den Dächern von Priština, der Hauptstadt des Kosovo, umher kreisten: „Das ist schon das dritte Vorzeichen, das darauf hindeutet, dass niemand, der noch ganz bei Trost ist, auch nur einen weiteren Tag an diesem dem Untergang geweihten Ort leben würde! Ich kenne keinen anderen Ort auf der Welt, an dem ein Schwarm schwarzer Krähen den Tag zur Nacht machen könnte!“ Ich war nicht im geringsten überrascht, als er den Kosovo ein paar Tage später verließ.

Das Gespräch fand im Jahr 1981 statt, als im Kosovo schon eine Krisensituation herrschte. Ich erinnerte mich an diese Diskussion, als ich von René Block gebeten wurde, etwas über die Ausstellung “In den Schluchten des Balkan” zu schreiben. Ich stellte mir die Frage: Was ist die differentia specifica der modernen Kunst aus dem Kosovo im Bezug zu einer solch grausamen Geschichte? Zuallererst dachte ich an den Graben, der das moderne von dem mittelalterlichen Kosovo trennt.

Seit Jahrhunderten ist das Kosovo so etwas wie eine verlorene Provinz gewesen, ohne intellektuelles Leben und ohne bedeutende künstlerische Leistungen. Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden revolutionäre und progressive nationale Kulturinstitutionen gegründet. Aus ihnen entstand eine Kunstszene, die sich dem Modernismus verschrieb, allerdings mit beträchtlicher Verspätung, genau wie es auf gesellschaftlichem und ökonomischem Gebiet der Fall war. In den vier Jahrzehnten, in denen das Kosovo zur jugoslawischen Kunstszene gehörte (von den 50er Jahren bis in die 80er Jahre), einer Szene, die ziemlich offen war für ganz unterschiedliche Stile, hat seine Kunst keine weiteren Spuren hinterlassen. Die Kunsthochschule im Kosovo war konservativ, besonders in ihrer Ablehnung, neue künstlerische Praktiken zu akzeptieren. Folglich wurde ihre Kunst auch nur von konservativen Kritikern geschätzt.

In den 90er Jahren wurde die visuelle Kunst aus dem Kosovo viel intensiver mit der politischen und gesellschaftlichen Realität konfrontiert, da das Land zu der Zeit von den serbischen Besatzungstruppen und ihrer Zerstörungsmaschinerie schlimm verwüstet wurde. Die Existenzgrundlage war in Gefahr bzw. war zerstört worden, und auch die Kunst konnte nicht unangetastet bleiben. Indem sie den Widerstandsgruppen halfen, reagierten die Künstler aus dem Kosovo damit, dass sie ihrem politischen Gewissen folgten. Einige der Künstler gingen bei ihrer Suche nach Befreiungsstrategien sogar noch weiter – sie stellten auch gleich die alte kulturelle Ordnung in Frage.

Die Projekte, die den Wendepunkt in der Kunstgeschichte des Kosovo markieren, waren die Ausstellungen von Sokol Beqiri in Peja und Priština im Jahr 1994. Bei diesen Ausstellungen experimentierte er mit neuen künstlerischen Ausdrucksformen. Ich kann mich an ein Selbstportrait erinnern, das Beqiri für dieser Projekt anfertigte, für das er seinen Kopf in das gleißend helle Licht eines Fotokopierers hielt, was einen unweigerlich an das „Zeitalter der mechanischen Reproduzierbarkeit“ (Walter Benjamin) als die treibende Kraft hinter der modernen Gesellschaft und an eine Art symbolische Kompensation für den chronischen Zeitverzug seitens der Kunst aus dem Kosovo denken lässt.

Nach Beqiri experimentierten andere Künstler mit neuen Ausdruckformen. Leute wie Mehmet Behluli und Maksut Vezgishi arbeiteten im Kosovo, während andere wie Sisly Xhafa und Gani Llalloshi in Europa lebten und arbeiteten. Die interessantesten und aufsehenerregendsten Projekte der 90er Jahre waren die Ausstellung „Beyond“ in Belgrad (im Zentrum für kulturelle Kontamination, Kurator war Sh. Maliqi) und die beiden Ausstellungen „Perspective“ in der Dodonna Galerie in Priština, bei der eine neue Künstlergeneration Einzug in die Szene hielt (vor allem Erzen Shkololli und Albert Heta).

Nach dem Kosovo-Krieg bildete sich zur gleichen Zeit sowohl eine konservative als auch eine avantgardistische Kulturszene heraus. Diese beiden schafften es nicht, eine gemeinsame Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen, mit wenigen Ausnahmen, wie z.B. der Ausstellung „Kosovar Golgatha“ (1999), während der beide Kunstrichtungen Seite an Seite ausgestellt wurden. Vertreter der neuen Kunstrichtung nehmen an verschiedenen internationalen Ausstellungen in ganz Europa teil (z.B. „Manifesta“, „Beautiful Strangers“ in der ifa-Galerie Berlin, „Blut & Honig“ in Wien etc.), während sie nur sehr selten im Kosovo gezeigt wurden.

Die neuen Kunstformen spielten erst nach einer dreimonatigen Rebellion der Studenten an der Kunstakademie in Priština (November 2001 – Februar 2002) und diversen Ausstellungen in der Nationalgalerie in Priština („Wir“, „Du“, „Der Fisch denkt nicht...“. Die Letztgenannte wurde von Edi Muka kuratiert), bei denen sich die jüngste Künstlergeneration zum ersten Mal präsentierte (Jakup Ferri, Dren Maliqi, Tahar Almedari, Driton Hajredini, Lulëzim Zeqiri u.a.) eine größere Rolle innerhalb der etablierten Kunstszene.

Die neue Kunst aus dem Kosovo verweist auf gesellschaftliche Probleme, agiert als kritische Stimme und Gewissen. Dies trifft vor allem auf Merita Harxhi Koci zu, die einen virtuellen Wahlkampf organisiert hat, um zur Präsidentin des Kosovo gewählt zu werden. Das Gleiche gilt für Albert Heta, der Werbeposter von British Airways, auf denen „Es ist Zeit zu reisen“ zu lesen war, mit dem Zusatz „Kein Visa nötig!“ versehen hat. Damit wollte er die Scheinheiligkeit einer Werbung für das Reisen angesichts drastischer Visa-Restriktionen bloßstellen, welche die Möglichkeiten der Menschen aus dem „dem Untergang geweihten Land der Krähen“ zu entkommen, stark einschränken.

Shkëlzen Maliqi

Deutsch: Uli Nickel

 

 

Kosovo

 

The Damned Land of Crows

Some twenty years ago, I had a friend, a Yugoslav theater director working in Kosova, who had a habit of over-dramatizing history. In a discussion we had, he told me that “Kosova is a damned and dangerous place simply because, in medieval times, two emperors were killed there”. Indeed, during the battle between the Balkan coalition forces and the Turkish occupiers in 1389, both Sultan Murat and Tzar Lazar were laid to rest. He made these remarks while we were visiting an orthodox church with its famous frescos. Astonished by the power of the artworks, the director was then struck by another skeptic and ghoulish thought: “Unfortunately, I have to say that this great piece of art has a murderous power! Orthodox fundamentalists use these churches to argue that Kosova belongs to Serbia. While you, the Albanians, as the majority in Kosova today, are conceived as a misfortune”. He had more to say as, on our way back from the monastery, we saw huge flocks of crows prowling the sky over Kosova´s capital, Prishtina. “This is the third sign to suggest that no one with any common sense would want to live for another day in this damned place! I know of no other place in the world where flocks of black crows can turn day into night?!” I was not surprised when he left Kosova a couple of days later.

The conversation took place in 1981, by which time Kosova was already in crisis. I remembered this discussion after I was asked by Rene Block to write something on the exhibition “In den Schluchten des Balkan”. I asked myself: What is the “differentia specifica” of modern Kosovar art in relation to such bloody histories? First of all, I thought of the ditch that divides modern day and medieval Kosova.

For centuries, Kosova had been somewhat of a lost province, with no intellectual life and no renown artistic achievements. It was only after the Second World War that revolutionary and enlightenment-type national cultural institutions were established. They were followed by an art scene in pursuit of modernism, but with considerable tardiness, just as in the social and economic spheres of life. During the four decades of Kosova´s involvement in the art scene of Yugoslavia (from the 50ies up to the 80ies), a scene which was quite open to various styles, its art did not have much penetrability. The Kosovar art school was conservative especially in its refusal to accept new artistic practices. This limited its art to be appreciated by conservative critics only.

In the 90ies, the visual arts in Kosova became more directly related to the political and social reality, as the country was at this time under the devastating rule of the occupying and destructive machinery of Serbia. The foundations of existence were being endangered and ravaged, and art could not be left unchallenged. By serving the resistance movement, Kosovar artists responded with their political conscience. Some of the artists went even further in their search for liberating strategies - they did so by also questioning the old cultural model.

The projects that mark a turning point in Kosovar art were the 1994 exhibitions by Sokol Beqiri in Peja and in Prishtina. In these exhibitions, he experimented with new forms of expression. I remember a self-portrait Beqiri did in the project, which he realized by putting his head into the blinding light of the photocopy machine, reminding us of “Mechanical Reproduction Age” (W.Benjamin) as the motor force behind modernity and a kind of symbolic compensation for the chronic delay in the development and the production of Kosovar art.

After Beqiri, there were other artists trying out new forms of expression. The likes of Mehmet Behluli and Maksut Vezgishi worked in Kosovo, while others like Sislej Xhafa and Gani Llalloshi lived and worked in Europe. The most interesting and most provocative projects of the 90ies were the exhibition in Belgrade “Beyond” (Centre for Cultural Decontamination, curated by Sh.Maliqi), and the two exhibitions “Perspective” at the Dodona Gallery in Prishtina, where a new generation of artists ascended into the scene (most notably Erzen Shkololli and Albert Heta).

After the war in Kosova, the traditionalist and the “vanguard” cultural scenes came to life simultaneously. The two failed to create cooperative relations, except in some cases, like in the “Kosovar Golgotha” exhibition (1999), where both approaches were exhibited side by side. The New Wave artists participate in various international exhibitions all around Europe (for example “Manifesta”, “Beautiful Strangers” at ifa Gallery Berlin, “Blut & Honig” in Vienna etc), while they very rarely exhibit in Kosova.

The new art forms found more space in the mainstream art scene after a three month rebellion by the students of the Academy of Arts in Prishtina (November 2001 – February 2002) and some exhibitions in the National Gallery in Prishtina (“We”, “You”, “The Fish doesn’t think”…, the last one curated by Edi Muka), when the youngest generation of artist made its appearance (Jakup Ferri, Dren Maliqi, Tahar Almedari, Driton Hajredini, Lulëzim Zeqiri and others).

The new Kosovar art refers to public worries, acting as a force of criticism and conscience. This is obvious in the case of Merita Harxhi Koci, who organized a virtual public campaign to be elected President of Kosova. The same is true of Albert Heta, who intervened on British Airways billboards printed with the slogan “It’s time to go visiting” by adding the sentence “No Visa required!”, to unmask the hypocrisy of advertising travel arrangements in times of drastic visa restrictions that limit the Kosovar’s possibility to run away from the “damned land of crows”.


Shkëlzen Maliqi