Bulgarien

 

Luchezar Boyadjiev

Pravdoliub Čov

Daniela Kostova

Boris Missirkov / Georgi Bogdanov

Ivan Moudov

Kiril Prashkov

Kalin Serapionov

Nedko Solakov

Veronika Tzekova

 

English version

 

Zeitgenössische bulgarische Kunstszene heute – Schritte zur Positionsbestimmung

Das Thema einer kürzlich in der Städtischen Kunstgalerie Sofia im Rahmen einer vierteiligen Vortragsserie geführten Diskussion - „Führt der internationale Erfolg bulgarischer Künstler zu einer Veränderung der Infrastruktur der Kunst des Landes?“ (März 2003) – wirft ein Schlaglicht auf die Situation in Bulgariens zeitgenössischer Kunstszene. An der Diskussion nahmen einige international erfolgreichere und bekanntere, an der Gruppenausstellung Export/Import (kuratiert von Maria Vassileva) beteiligte Künstler sowie ein umfassenderer Kreis von Künstlern und Kuratoren teil und trafen hier zum ersten Mal seit vielen Jahren mit dem breiteren Publikum und Vertretern der Kulturverwaltung zusammen.

Die Antwort auf diese Frage könnte man mit einem Wort zusammenfassen: „Nein“, und dafür gibt es zahlreiche Gründe. Die parallel zur Ausstellung veranstaltete Vortragsserie verdeutlichte, dass die Kunstszene einerseits gegenüber den offiziellen Institutionen und Strukturen erneut stark marginalisiert ist. Andererseits baut sie derzeit aber neuen „Kampfgeist“ und eine Agenda zur Verteidigung ihrer lokalen Rechte auf und beruft sich dabei auf ihr internationales Renommee. In dem neuen Streben nach angemessener Anerkennung und öffentlichem Einfluss ist sich die Kunstszene jedoch schmerzlich der Tatsache bewusst, dass sie möglicherweise einen wichtigen Verbündeten verloren hat: die Elite der Theoretiker, welche die zeitgenössische Kunst bereits in den frühen 1990er-Jahren im Kontext der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen sahen und interpretierten. Doch die gemeinsame Intuition für die sozialen Funktionen zeitgenössischer Kunst sowie der gemeinsame ideologische Kontext scheinen sich aufgelöst zu haben, und das Streben nach einer Wiedererlangung des Verständnisses und der Unterstützung zumindest dieses natürlichen Verbündeten ist nun eines der Merkmale der zeitgenössischen bulgarischen Kunstszene.

In einem ähnlichen Prozess verändert die Kunstszene - verkörpert durch die zahlreichen Künstler/Kuratoren-Kollektive, welche noch immer die einzige aktiv und flexibel funktionierende Infrastruktur für die zeitgenössische Kunst des Landes darstellen - ihre Einstellung zur öffentlichen Präsentation. Verglichen mit den vorhergehenden fünf bis sechs Jahren, als direkte Begegnungen mit dem Publikum im Rahmen von Diskussionen selten waren oder gar nicht erst stattfanden, hat man in den letzten Jahren offenbar weitaus mehr Energie in öffentliche Debatten investiert. Heute sind Ausstellungsaktivitäten, die einst alleiniger Schwerpunkt des künstlerischen Lebens waren, von hitzigen öffentlichen Diskussionen begleitet. Die Kunstszene fühlt sich isoliert und sucht nach Räumen und Themen, um dort gemeinsame Interessen definieren und mit einem breiteren Publikum zusammentreffen zu können. Diese delikate Allianz soll als Ansatzpunkt dienen, um in Zukunft die Definition der bulgarischen Kulturpolitik stärker beeinflussen zu können.

Da inzwischen über zehn Jahre seit der erfolgreichen Teilnahme an der Biennale von Istanbul 1992 und der zunehmenden Präsenz und Anerkennung zeitgenössischer bulgarischer Künstler und Kuratoren innerhalb des internationalen Kunstgeschehens vergangen sind, ist Bulgariens Kunstszene der Ansicht, es sei höchste Zeit für mehr öffentliche Sichtbarkeit und Effektivität. Eines der am heißesten diskutierten Themen ist die dringende Notwendigkeit, in Sofia ein Museum für zeitgenössische Kunst einzurichten. Die Debatte dreht sich um eine Vielzahl von Fragen und Standpunkten, in erster Linie wohl aber darum, dass die wachsende internationale Anerkennung der künstlerischen Produktion und das Renommee der Hauptakteure der Szene eine Herausforderung und eine Verpflichtung für den Staat bzw. die privaten Unternehmen darstellen, eine differenziertere (oder wie auch immer geartete) Einstellung gegenüber Kunstpraktiken zu entwickeln, die nicht nur zeitgemäß sind, sondern in vielerlei Hinsicht auch die kulturelle Schnittstelle des Landes mit dem Ausland bilden. Es mag scheinen, diese Debatte sei eine Totgeburt, da es angesichts des traditionellen Konservativismus und der Trägheit offizieller Institutionen sowie des notorischen Fehlens einer „aufgeklärten“ Wirtschaft, die in Bulgarien vielleicht zu „jung“ ist, um sich für etwas anderes als schnelle Autos und Profite zu interessieren, niemanden gibt, der vorwärts drängt. In intellektuellen Kreisen wird sie jedoch sehr engagiert geführt, wobei nichtkünstlerische Intellektuelle überwiegend den Standpunkt vertreten, dass diese Art von Kunst per Definition von vergänglicher Natur ist und daher unmöglich in ein Museum gehören kann. Mit solch provinziellen und veralteten Argumenten werden Kunstpraktiken noch mehr marginalisiert. Im Gegensatz dazu ist man in künstlerischen Kreisen der Auffassung, dass es einer museumsähnlichen Institution bedarf, um damit erstens eine psychologische Distanz imaginärer Zeit zu schaffen und zweitens das schon erreichte Niveau an Energie, Professionalität, Offenheit und Kontinuität zu gewährleisten. Die Ironie scheint wieder einmal darin zu bestehen, dass die Existenz und Funktion zeitgenössischer Kunstpraxis zwar einerseits in Frage gestellt, andererseits aber in anderen Zusammenhängen durchaus geschätzt wird.

In dieser Situation setzen sich zeitgenössische Kunstkreise nicht nur dafür ein, alte Allianzen zu festigen, sie suchen auch nach neuen, beispielsweise mit den Medien. Da Kunst-Events in Bulgarien einen medialen Stellenwert als Skandal, Provokation oder einfach nur Unterhaltung besitzen, haben sie stets die Aufmerksamkeit der Medien genossen. Neu ist jedoch, dass Künstler und Kuratoren nun nicht mehr auf die Medien als einen zwar bedeutenden, aber nicht allzu kompetenten „Spiegel“ und auf den „Medienmarkt“ als Ersatz für den fehlenden, wirklichen Markt herabsehen. Offenbar beruht die gewünschte Allianz mit den Medien nun auf gegenseitiger Anerkennung relevanter Interessen und vor allem auf einem verstärkten Bewusstsein der Funktion von Kunst in einer bürgerlichen Gesellschaft. Nach mehr als einem Jahrzehnt harter Arbeit an der Ausweitung der Kunstszene und ihrer Integration in das internationale Netzwerk von Menschen, Ereignissen, Themen und Praktiken ist die zeitgenössische bulgarische Kunstszene nun offenbar zu der Erkenntnis gelangt, dass sie möglicherweise im eigenen Land ihre Basis verloren hat. Junge Künstler, die auch ohne spezifische Medienausbildung Anzeigen und TV-Werbespots gestalten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, widmen ihrer neuen Tätigkeit in den Medien mehr Zeit, als die Medien ihnen widmet. Es scheint, als werde Kunst eher als Produktivfaktor aufgefasst, der die visuelle Landschaft der Gesellschaft versorgt, denn als Produzent ästhetischer Werte oder Katalysator gesellschaftlichen oder politischen Verständnisses. Bildende Kunst ist alles andere als willkommen, pseudo-künstlerische Gesten in der Werbung sind jedoch überaus geschätzt.

Die Situation hängt eng mit dem derzeitigen Status junger Künstler und Kuratoren zusammen. In den vergangenen Jahren war es bei vielen Absolventen von Kunstschulen und/oder jungen Künstlern sehr beliebt, sich für ein weiterführendes Studium an etablierten Kunstschulen in Österreich, den Niederlanden, Frankreich, Deutschland, USA etc. zu bewerben, da dies nicht nur die Aussicht bot, ihre Sachkenntnisse zu erweitern, sondern auch ermöglichte, die zentraleren Szenen auf natürliche Art zu infiltrieren. Die Szene in Bulgarien spürte den Weggang auch nur einer dieser Personen sofort als Lücke in ihren Aktivposten. Auch kommen diese jungen Leute nach einem oder zwei Jahren des Studiums nicht unbedingt zurück, sondern interessieren sich oft eher dafür, nur bestimmte Projekte in ihrer alten Heimat zu realisieren oder Projekte mit Material aus der Heimat an dem Ort durchzuführen, an dem sie eine Zeit lang leben möchten. Diese relativ neue Entwicklung bringt - kombiniert mit den Aktivitäten von Künstlern und Kuratoren, die in Sofia ansässig sind, aber überall arbeiten, – neue Impulse für mehr Offenheit und Weiterentwicklung. Offenbar gibt es derzeit in der zeitgenössischen bulgarischen Kunst eine neue Agenda, die sich viel enger sowohl an der Verortung der Szene wie auch an der Agenda der internationalen Kunstpraxis orientiert. Die Kunstpraktiken und Produkte dieser Szene mögen ihren Exotismus nicht vollkommen verloren haben, aber sie werden weder von außen definiert, noch definieren sie sich selbst ausschließlich über die osteuropäische Matrix.

Iara Boubnova

Deutsch: Birgit Herbst

 

 

Bulgaria

 

Bulgarian Contemporary Art Scene today – motions of validation

The topic of a recent public debate in Sofia Municipal Art Gallery – “Does the international success of Bulgarian artists lead to a change in the infrastructure for art in the country?” (March 2003) aptly expresses the situation of the contemporary art scene in Bulgaria. The debate was part of a cycle of four public lectures, complemented by a discussion during which some of the internationally better known, successful artists, participating in the group show “Export / Import” (curated by Maria Vassileva), as well as the wider circle of artists and curators met face-to-face with a large audience and culture administrators, - for the first time in many years.

The conclusion of the debate could be summarized in one word: “No”, and the reasons are numerous. However, this cycle, parallel to the show, indicated that on one hand the art scene is once again heavily marginalized vis-à-vis the official institutions and structures. On the other hand, it is building up a new “fighting” spirit and agenda in defense of its own local rights on the basis of its accumulated international reputation. In the new quest for adequate recognition and public impact though, the art scene is painfully aware that it may have lost an important ally – the elite circle of theorists who in the early 1990ies were fast to see and interpret contemporary art within the context of the societal and political changes. However, the shared intuitions on the social functions of contemporary art as well as the shared ideological context seems to have dissolved, so that today one of the objectives of the Bulgarian contemporary art scene is a struggle to regain the understanding and the support of at least this natural ally.

In a related “motion” the art scene, as personified by the numerous artists’/curators’ collectives which still make up the only actively and flexibly functioning infrastructure for contemporary art in the country, is fast changing its attitude to public exposure. It seems that within this last year there was much more energy put into public debate, in comparison to the previous 5-6 years when direct encounters with the audience on the discussion floor were rare, if not entirely missing. Heated public meetings now accompany exhibition activities which were once the sole core of artistic life. In order to break up this isolation, the art scene is now looking for spaces and themes along which it is possible to define common interests and meet with the wider audience. The idea is to use this delicate alliance as leverage in order to play a more significant role in shaping the cultural policies in the country.

After a period of more than 10 years since the successful participation in the Istanbul Biennial 1992 and the intensifying presence and recognition of contemporary Bulgarian artists and curators in the international circuit of art events, the art scene here feels it’s high time for a more decisive push in the direction of public visibility and effectiveness. Currently, one of the hottest topics is the debate around the pressing need to establish a museum for contemporary art in Sofia. The debate involves a variety of issues and viewpoints, but the main axis seems to be that the growing international acknowledgment of the artistic production as well as reputation of the main players on the scene, presents a challenge and an obligation for the state and/or the private businesses, to develop a more refined (or any sort of whatsoever...) attitude to practices that not only make sense of the time but are in many ways the cultural interface of the country abroad. Within the context of the traditional conservatism and slowness of the official institutions, as well as the notorious lack of “enlightened” business representatives, who in Bulgaria are maybe still too “young” to care about anything else but fast cars and profits, there is no one to push forward, and the debate seems to be headed nowhere. However, it is a heated one within the intellectual circles and the prevailing viewpoint of non-artistic intellectuals is that this kind of art is by definition of transitory nature; hence it can’t possibly belong in any museum. Thus using provincial and outdated arguments further marginalizes art practices. The opposite viewpoint, held by artistic circles, insists that a museum-type art institution is needed in order to first construct a psychological distance of imaginary time in order to, second, guarantee the achieved level of energy, professionalism, openness and continuity. The irony once again seems to be that the very existence and function of contemporary art practices is being questioned regardless of its appreciation in other contexts

In this situation, contemporary art circles are not only working on reconfirming old alliances, but are also looking for new ones, such as the media. As they are usually accompanied by a whiff scandal, provocation or simple entertainment value, artistic events in the country have always enjoyed media coverage and attention. The new element however is that now artists and curators are no longer looking down upon the media as an important, but rather incompetent “mirror”, but rather view the “media market” as a substitute for the missing actual one. It seems that the desired alliance with the media is now based on reciprocity, mutual recognition of relevant interests, and above all on a higher awareness about the function of art in a civic society. After more than a decade of hard work on the enlargement of the art scene and its integration within the international network of people, events, issues and practices, the contemporary art scene in Bulgaria seems to have come to the realization that it may have lost its base in the country. Young artists who are involved in advertisement and TV commercials in order to make ends meet, even without special and proper education, now dedicate more time to their new field of activity then vice versa. It looks as if art now is understood more as an agent saturating the visual landscape of society, rather then as a source of aestethic values or as a motivating factor of social or political understanding. Fine arts are most un-welcome, however, artsy gestures in advertisement are more then appreciated.

The situation is closely related to the current status of young artists and curators. During the last few years, the most popular practice was for art school graduates and/or young art professionals to apply for programmes abroad and to go established art schools in Austria, The Netherlands, France, Germany, the USA, etc for further studies. The aim was not only to increase their expertise but to also naturally infiltrate the more central scenes. The scene in Bulgaria immediately felt the departure of even one such person as a voided asset. On the other hand, after one or two years of study, these youngsters are not exactly coming back, but are rather interested in doing projects wherever they came from or projects involving material from back home at the place they have chosen to settle at for a time. This is a relatively new development, which, combined with the activities of Sofia-based artists and curators working all over the world, brings in fresh impulses for openness and development. It seems that there is a new agenda in Bulgarian contemporary art now and it is related in a much closer way to both the location of the scene and the agenda of the international art practice. The art practices and products of this scene may have not entirely lost their exoticism, but they are no longer defined from the outside nor do they define themselves only by the Eastern European matrix.

Iara Boubnova